Montag, 27. November 2017

Training in der Luftfahrt hat eine einzigartige Qualitätssicherung

Zunächst eine kleine Geschichte:


Beim Thema Emergency in der Luftfahrt fällt den meisten Menschen immer sofort etwas Technisches ein.

Dabei ist auch der „medical emergency“ gar nicht so selten wie man denkt.
Auch dafür wird im Crew-Resource-Management das Team im Flugzeug trainiert.

Besonders gefordert wird die Cockpitcrew dann, wenn einer der Piloten betroffen ist.
Hier ein Fall aus September in den USA (deutsche Übersetzung durch mich):



„Wir sanken an einem schönen klaren Früh-Herbsttag in Richtung Denver.
Ich war als erster Offizier der Pilot Flying. Mit meinem Captain hatte ich während des ganzen Fluges von Austin/Texas eine normale Konversation.
Die Flugverkehrskontrolle (ATC) kündigte mir einen Radar geführten Anflug auf die Landebahn 16L an während wir 12.000 Fuß (4.000m) im Sinkflug passierten.
Als ich einen Blick nach links auf meinen Kapitän warf, sah ich verwundert, dass er eine Brechtüte vor sein Gesicht hielt.

Er sagte, dass ihm plötzlich sehr übel sei, lehnte sich nach vorne und übergab sich.
Der Captain sah total bleich aus, schwitzte, presste seine Lippen zusammen und fasste verkrampft an seine Brust.
Ich dachte sofort an einen Schlaganfall oder Herzinfarkt.
Sofort meldete ich ATC einen medizinischen Notfall (medical emergency) und erbat einen Direktanflug nach Sicht, auf dem kürzesten Weg, zur Landebahn 16L.
Ich brauchte nur 2,5 Minuten bis in den kurzen Endanflug, die mir allerdings vorkamen wie eine Ewigkeit.
Plötzlich hörte ich den Captain sagen: 500 Fuß, Anflug stabil.
Ich schaute kurz rüber und fragte überrascht: Du bist wieder da?
Doch er war orientierungslos und antwortete verwirrt.
Nach dem Aufsetzen rollte ich mit höchst möglicher Geschwindigkeit über den Schnellrollweg zum nächstliegenden Gate, wo der Krankenwagen bereits wartete.

Nach zwei Tagen Krankenhaus und vielen Tests war klar, dass der Captain sich einen extrem seltenen Magen Virus eingefangen hatte, der in kürzester Zeit neurologische Ausfälle und Verwirrtheit auslöst, ähnlich wie ein Schlaganfall.
Nach wenigen Wochen saß er wieder völlig gesund im Cockpit.“

Der erste Offizier und ATC haben alles richtiggemacht, so der knappe Kommentar der US Flugunfallbehörde NTSB dazu.

„First fly the aircraft“ war die eiserne Regel nach der der erste Offizier gehandelt hat.

Alles andere hätte viele Menschenleben gefährdet, zu viel Zeit gekostet und er wäre in die Gefahr geraten, die Situationsübersicht im Cockpit zu verlieren – war er ja plötzlich alleine auf sich gestellt.
Die NTSB untersucht auch solche Zwischenfälle genau und liest dazu u.a. den Flugdatenschreiber und Voicerecorder aus. Dabei geht es nicht darum, dem ersten Offizier ein Fehlverhalten nachzuweisen, sondern um aus dem Fall zu lernen, ggf. die Verfahren anzupassen und vor allem anderen Piloten über das ASRS (Aviation Safety Reporting System) die Situation für eigene Lernzwecke zugänglich zu machen.




Die mit diesen Daten und Ereignissen genährte Qualitätssicherung im
Crew-Resource-Management basiert auf drei Säulen:

  • 
Die freiwilligen, bestrafungsfreien Meldesysteme (z.B. das ASRS der NASA) für relevante Zwischenfälle in der Luftfahrt sammeln weltweit immer mehr und präzisere Daten aus dem Real-Luftverkehr. Sie sind allen an der Luftfahrt beteiligten Piloten, Unternehmen, Behörden und Trainingsinstitutionen zugänglich.
  • Die Standardverfahren (SOPs) werden mit diesen Daten und Erkenntnissen der realen Luftfahrt entwickelt und stetig verbessert.
  • Der Integration von Teamleistung in die Abläufe der Verkehrsluftfahrt sowie ihrer hochprofessionellen und komplexen Anforderungen wird höchste Aufmerksamkeit gewidmet. Sie hat in der Ausbildung und im Training einen sehr hohen Stellenwert.

Ausbildung, Training und Prüfungen von allen an der operativen Luftfahrt beteiligten Menschen sind nur dann nützlich und wertvoll, wenn ihre Richtigkeit und Erfolgsquote ständig überprüft und mit der Realität abgeglichen werden.
Dazu leisten alle Beteiligten durch ihre Berichte in die ASR-Systeme einen unschätzbar wertvollen Beitrag.

Dabei haben die Airlines im AQP (Advanced Qualifikation Program) die Möglichkeit eigene, auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene, behördlich anerkannte Trainings zu entwickeln.

Das erstklassige Fehlermanagement in der Verkehrsluftfahrt ist die Essenz und gleichzeitig die Kür eines richtigen, erfolgreichen und praxisbewährten Führungsmodells, dem
Crew-Resource-Management.


Quellen:


NASA ASRS

Kanki, B. G., Helmreich, R. L., and Anca, J. (2010) Crew Resource Management, Second Edition, Elsevier, Amsterdam.

Sonntag, 19. November 2017

Fatale Fehlerketten sicher vermeiden geht nur mit qualifiziertem Training

10 Tage im Jahr bin ich selbst im Training und Checks, auch in Sachen Crew-Resource-Management.
Dabei begeistert mich immer wieder die hervorragende Methode der Training-Designs. Die Trainings und Checks werden ständig nach dem Advanced Qualification Program (AQP) weiterentwickelt.
Es dient auch als Vorlage für unsere Training-Designs in Manager-Seminaren und Trainings im Cockpit.
In meinem nächsten Artikel berichte ich über die Grundsätze dieser in der Welt bisher einzigartigen Programm-Methode in der Luftfahrt.
Nur so bin ich in der Lage, auch in relativ hohem Alter, selbst ohne Copiloten, in hochkritischen Krisensituationen fatale Fehlerketten und stressbedingte Überforderung sicher zu vermeiden.


Was hat das mit Managern zu tun?


Folgender erlebter Fall in einem Unternehmen:

Ein Großkunde mit über 20% Umsatzanteil fällt wegen Insolvenz plötzlich aus und hat zudem noch größere offene Rechnungen.

Im Cockpit habe ich bzw. die Crew wenige Minuten die Sache in den Griff zu bekommen, im Unternehmen wenige Tage bis Wochen.
Das Handlungsprinzip jedoch ist das gleiche...

Samstag, 11. November 2017

Was ist eine flache Hierarchie?

Die Frage ist simpel, denken Sie?
Leider wird sie jedoch oft unvollständig beantwortet und behandelt.



Nur weil Hierarchie-Ebenen wegfallen, ist die Hierarchie zwischen Führungskraft und Mitarbeitern noch lange nicht flach.


Hierarchien haben nicht nur einen organisatorischen Ansatz

Das Crew-Resource-Management (CRM) hat die Elemente "Führen" und "Hierarchie" im Kern erforscht und Antworten gegeben.
Das Augenmerk richtet sich dabei nicht auf die Organisation der Crew, sondern auf das Verhältnis der Beteiligten untereinander.
Letztlich kam es darauf an, aus dem „Helden der Lüfte“, dem Kapitän, einen effizienten und anerkannten Teamführer zu machen.
Nur damit konnte man die Ursachen für fatales Teamversagen (Auslöser von über 80% aller Flugzeugabstürze) erfolgreich abstellen.
So war vor dem CRM im Cockpit die Hierarchie zwischen Kapitän, 1. Offizier und Crew oft so steil ausgeprägt, dass jede offene Kommunikation unmöglich wurde.
Das Teamversagen im Flugzeug war durch falsches Fehlermanagement definiert, ausgelöst durch eine Hierarchiebarriere.
Diese Barriere blockierte nicht nur die Kommunikation, sie führte auch zu falschen, bauchgesteuerten Entscheidungen, erhöhtem Stress und eben dann und wann zum tödlichen Ende einer Fehlerkette.

In meinen Trainings und Seminaren erkläre ich es ja gerne einfach und auf Deutsch ;)




„Eine funktionierende, flache Hierarchie erkennen Sie in der Praxis, wenn Meinungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter angstfrei und vertrauensvoll ausgetauscht werden.

Fehler werden offen besprochen, ohne Furcht vor Bestrafung und Suche nach dem Schuldigen. Das gilt auch für die Fehler der Führungskraft selbst!
Die Führungskraft befindet sich mit den Geführten in einer Atmosphäre der psychologischen Sicherheit.“

Quellen:

Kanki, B. G., Helmreich, R. L., and Anca, J. (2010) Crew Resource Management, Second Edition, Elsevier, Amsterdam.

Hackman, J. R. (2002) Leading Teams: Setting the Stage for Great Performances, Harvard Business Press, Boston, Massachusetts

Donnerstag, 9. November 2017

You are looking for human error? Then make it human!

Das großartige an der Analyse von Luftfahrtunfällen ist die völlig offene und schonungslose Auseinandersetzung mit den Ereignissen.
In einer digitalisierten Welt sind auch hocherfahrene Unfallermittler nicht davor gefeit, den Human Factor "raus zu rechnen".
Sullenberger dazu: "You are looking for human error? Then make it human"
Die völlig offen gelegte Untersuchung der Hudson Landung von Chesley Sullenberger und seiner Crew zeigen das.
Hier die authentische Szene aus dem Film:


Sullenberger und seine Crew haben mit dem Führungs- und Arbeitsmuster des Crew-Resource-Management (CRM) eine außerordentliche Leistung vollbracht.


Die Erkenntnisse aus diesem Unfall stehen allen Flugzeugbesatzungen, Airlines und Flugschulen zur Verfügung.
Es gab bis zu diesem Tag kein Training und kein Verfahren für so einen Zwischenfall. Jetzt gibt es das.
So geht richtiges Qualitäts- und Fehlermanagement.

Auch die in den USA nach einem ähnlichen Muster wie dem CRM trainierten, gewerblichen Schiffscrews und Rettungskräfte haben herausragendes geleistet.
In nur 24 Minuten nach dem Mayday-Ruf war die Rettung aller Passagiere sichergestellt.

In den USA und Kanada sind mittlerweile auch Kliniken verpflichtet, die Elemente des Crew-Resource-Management im QM verbindlich einzuführen.
Die erste Studie* darüber zeigt außerordentlich positive Ergebnisse bei einer enormen Effizienzsteigerung.

*Moffatt-Bruce, S. D., Hefner, J. L., Mekhjian, McAlearney, S., Latimer, Ellison, and McAlearney. (2015) What Is the Return on Investment for Implementation of a Crew Resource Management Program at an Academic Medical Center, American Journal of Medical Quality.

Mittwoch, 1. November 2017

Der Mensch braucht kontrollierbaren Stress

Diese Erkenntnis ist recht neu!

Kontrollierbarer Stress macht nachweislich glücklicher und führt zu einem erfüllteren und zufriedenerem Leben.
Doch warum reden wir dann immer über Stressvermeidung und stark zunehmenden fehlerhaftem Handeln unter Stress?
Wir meinen hier immer den unkontrollierten, erzwungenen Stress.
Diese Unterscheidung basiert auf neuerer, neuro-wissenschaftlicher Erkenntnis.
Bis 1999 vertrat die Neurowissenschaft die Auffassung, dass sich Gehirnzellen im Erwachsenenalter nicht mehr neu bilden können.
Das ist heute klar widerlegt. Der Mensch kann bis ins hohe Alter neue Gehirnzellen bilden und die dazugehörenden Verknüpfungen ausbilden.
Bei diesem Vorgang spricht man von Neuroplastizität.

Neue Hirnzellen und die Verknüpfungen dazu bilden sich aber nur, wenn das Gehirn auch entsprechend gefordert und trainiert wird.
Dosierter und kontrollierbarer Stress in freiwilligem Rahmen fördert das Zellwachstum erheblich und erhält nicht nur die geistige Leistungsfähigkeit, sondern erhöht auch bei regelmäßigem Training dieser Art die Stressresistenz. Der Nachweis darüber wurde in vielfachen Versuchen und Untersuchungen erbracht.
Erzwungener, unkontrollierbarer Stress jedoch lässt das Gehirn Bereiche zum überlegten Handeln still legen, um sich ganz auf das körperliche Überleben in der Stresssituation einzustellen.
Daher machen Menschen bei derartigem Stress, je nach Komplexität der Tätigkeit, 11 bis 1.000-mal so viel Fehler wie unter normalen Umständen.

Diese Erkenntnis macht sich natürlich auch die Verkehrsluftfahrt zunutze und trainiert ihre Besatzungen im Abstand von bis zu nur 3 Monaten in Simulatoren in kontrollierbaren Stresssituationen.
Dadurch wächst auch bei den Crews der Verkehrsflugzeuge die Stressresistenz bei unvorhersehbaren Ereignissen deutlich.

Im folgenden Video war es das Ziel, den Stress des Cockpit-Teams soweit ans Limit zu fahren, dass die Aufgabe noch sicher bewältigt werden konnte. Es durfte kein Kontrollverlust (lost of awareness) entstehen.
Die Pilotin (leitende Klinikärztin) hat noch nie vorher in einem Flugzeugcockpit gesessen, jedoch zuvor einmal Kollegen bei einem Flug zugeschaut. Der rechts sitzende "Pilot Monitoring" hatte bereits ein Airline-Simulator-Training hinter sich.
Der Flug ging von Braunschweig nach Hamburg.
Mit richtiger und offener Kommunikation, klarer Rollen- und Aufgabenverteilung, angepasstem Zeitmanagement und geeigneten Standardverfahren kann eine Führungskraft den Stresslevel in ihrem Team gut steuern.
Nur positiver Stress hat einen nachhaltigen Lerneffekt, steigert die Leistungsfähigkeit und erhält die Motivation.


In unseren Trainings habe ich eine Methodik, bei der ich im professionellen Airline-Simulator einen kontrollierbaren Stresspegel sehr realistisch und individuell auf den Teilnehmer ausgerichtet aufbaue.
Die Wiederholung dieser Szenarien erhöht schon in diesem einen Training Ihre Stressresistenz.
Es ist eine Art Gehirnjogging, das Hirnzellen und Verknüpfungen ausbildet, die Ihr Gehirn leistungsfähiger machen.
Sie lernen zudem Ihre Stressgrenzen kennen und Werkzeuge aus dem
Crew-Resource-Management anzuwenden, die Sie im positiven Stressbereich halten.

Montag, 30. Oktober 2017

Sind Modelle und Trainings für Team-Effizienz auch wirksam?

In der Forschung zum Crew-Resource-Management (CRM) wurde von Anfang an nicht nur großen Wert auf eine passende Lehrmethode gelegt, sondern auch auf die Evaluierung der Trainings und Methoden.



Zugleich erkannten die Wissenschaftler eine große Schwäche der bisher angewandten Führungs- und Arbeitsmodelle: ihre Wirkung war quasi nicht belegbar.
Das konnten und wollten die Verantwortlichen nicht akzeptieren.

Dafür hatte man den Vorteil, dass mit den Flugsimulatoren und dem Line Oriented Flight Training (LOFT) eine gut definierte und sehr realistische Umgebung für die Teamforschung existierte.
So konnte die Wissenschaft einzelne Verhaltensweisen für Teamführer und Mitglieder (behavioral markers) isolieren, die beide Bedingungen erfüllten:
  1. relevant für die Sicherheit (=gute und effiziente Teamarbeit)
  2. gut zu beobachten, auch von Nicht-Wissenschaftlern (=Prüf-Kapitäne)

Hier ein Beispiel für den Bereich „workload management & situation awaress“ (Arbeitslastverteilung & Situationsbewußtsein):

  • Vermeidet den „Tunnelblick“, ist sich der Faktoren - wie Stress - bewusst, die seine Aufmerksamkeit reduzieren.
  • Überwacht die die Arbeit umgebenden Faktoren (in der Luftfahrt z.B. Wetter, Flugzeugsysteme, Instrumente und Funk). Teilt relevante Informationen sofort mit.
  • Bleibt gedanklich seiner Ist-Situation voraus ("5-Minuten vor dem Flugzeug"-Regel), um erwartete und vor allem unerwartete Ereignisse schnell und richtig einordnen und bearbeiten zu können.
  • Stellt durch mündliche Kommunikation sicher, dass sein Team (Crew) seine Pläne kennt und versteht.
  • Die Rollen- und Arbeitsverteilung im Team ist klar kommuniziert, verstanden und rückbestätigt.
  • Stellt sicher, dass Tätigkeiten in der Prioritätenliste richtig eingeordnet und bearbeitet werden.
  • Erkennt und meldet Arbeitsüberlastung sowie Verlust des Situationsbewusstseins bei sich und seinen Teammitgliedern ohne Verzögerung.
  • Plant ausreichend Zeit für das Programmieren automatisierter Vorgänge vor dem Start der entsprechenden Abläufe ein.
  • Stellt sicher, dass alle Teammitglieder ständig über Veränderungen im Status oder in den Abläufen informiert sind.
  • Erkennt potentielle Gefahren durch Ablenkung und Unaufmerksamkeit (durch automatisierte Abläufe begünstigt(!)), für sich und sein Team (Crew). Gestaltet angemessene Vorbeugemaßnahmen dafür.

Aus diesen Verhaltensweisen entwickelten die Forscher in enger Zusammenarbeit mit den Trainings-Designern und Prozess-Spezialisten konkrete Regeln und Verfahren für die Teams in Cockpit und Kabine.
Mittlerweile sind in der 6. Stufe des CRM fast alle Bereiche der operativen Luftfahrt inklusive der Fluglotsen in dieses enorm erfolgreiche Führungs- und Arbeitsmodell integriert.

In der Forschung hat man zudem festgestellt, dass Programme und Methoden, die konkrete Verhaltensweisen beschreiben, eine wesentlich bessere Wirkung auf Team-Prozesse und deren Ergebnisse haben, als abstrakte Konzepte.

Dienstag, 24. Oktober 2017

Sion in den Schweizer Bergen – die neue Kür für Manager

Das Setting:

Der Anflug auf Sion im Wallis ist die schwierigste Kategorie, die mit einem Airliner wie einer A320 überhaupt geflogen werden kann. Anders als z.B. auf Madeira sind es hier nicht wenige Minuten, die fliegerisch schwierig sind, sondern ein langer Cocktail eines komplexen Anflugprozesses, der keine Fehler verzeiht.
6 Grad Gleitweg (fast doppelt so steil wie normal) aus 16.000 Fuß, 5 Meilen Sichtanflug in Schlangenlinien durchs Tal im Finale (der Instrumentenanflug IGS geht bis ca. 5 Meilen vor der Bahn) und nur knapp 2.000 m Pistenlänge. Hier wird das Flugzeug in der Gewichtsklasse eines Mittelstreckenjets bis an die Grenze aerodynamisch ausgereizt. Dabei sind exzellentes Stressmanagement und ständiges Situationsbewußtsein bei präzisem Einhalten der Verfahren überlebenswichtig.

Auf den ersten Blick läuft hier alles easy nach Plan.

Auf den zweiten Blick waren Entscheidungsfindungen nach FOR-DEC in vier kritischen Momenten gefragt:

  1. Beim Erreichen des Landekurssenders (Localizer) und Umschalten auf den Anflugmodus fiel das Sendesignal kurz aus.
    Meine Entscheidung:
    Anflugroute nach Vorgaben des Navigationscomputers fortsetzen, da noch kein Sinkflug eingeleitet und noch einige Sekunden Zeit für eine finale Entscheidung (Abbruch des Anfluges) war.
  2. Nach Erreichen des Sinkflugpunktes (Initial Approach Fix) fiel der Gleitwegsender aus bzw. sein Signal war nicht zuverlässig. 
    Meine Entscheidung:
    Anflug nach alternativer Methode mit manuell gerechneter Sinkflugrate fortsetzen und Höhenchecks an den entsprechenden Punkten der Anflugkarte penibel durchführen.
  3. Das Instrumentenanflug-Minimum von 5900 Fuß war wegen Wolken nur äußerst knapp einzuhalten.
    Meine Entscheidung:
    da ich 100% sicher auf Kurs und meine Hindernisfreiheit bis 4500 Fuß garantiert waren, setzte ich den Anflug bis zu einer Sicherheitshöhe auf 5200 fort.
  4. Durch das Manöver unter 3. war ich im Finale im Sichtflugteil zu hoch.
    Meine Entscheidung: automatische Schubkontrolle und Autopilot sofort abschalten und manuell maximal möglich (unter Einhaltung der Sicherheitsmarken) korrigieren um frühestmöglich einen stabilen Endanflug sicherzustellen. Erschwert wurde das durch mäßige Scherwinde und Turbulenzen.

Was ist an einer solchen Teamübung im Rahmen des Crew-Resource-Management (CRM)-Trainings so wertvoll?

  1. Es funktioniert nach einem oder zwei Trainingstagen nur im „echten“ Team unter genauer Einhaltung der trainierten Voraussetzungen.
  2. Es erfordert eine Kommunikation im Team nahe 100 % nach den Regeln des CRM.
  3. Striktes Stressmanagement zur Erhaltung des Situationsbewußtseins (situational awareness) ist ein „must have“.
  4. Entscheidungsfindung unter Druck (FOR-DEC) muss hier in kürzester Zeit sicher ablaufen.
  5. Im Team muss es vollkommene Rollenklarheit und Rollendisziplin geben (Pilot Flying, Pilot Monitoring, Berater des PF und PM, Beobachter: Warnzeichen).

Gibt es überhaupt Teams in einem Manager-Training, die mehr vertragen als Innsbruck oder Madeira?

Ja, etwa 5 % der Teams im Training können das leisten. Deshalb entwickle ich ständig neue Szenarien mit veränderten Anforderungsprofilen.
Hier kommt es nicht auf 3-7 Minuten Höchstleistung an, sondern auf eine präzise Performance über mehr als 25 Minuten auf höchstem Level unter sehr komplexen Bedingungen.

Ist ein solches Szenario auch für ein Einzelcoaching geeignet?

Ja, im Stressmanagement-Coaching. Es hält ein sehr hohes Belastungsniveau über einen langen Zeitraum.
Im fortgeschrittenen Verlauf des Coachings kann das eine Option werden, damit der Teilnehmer am Maximum gefordert bleibt.

Macht ein solches Szenario bei Flugangst-Seminaren Sinn?

Nein, da liegt der Focus auf dem Kennenlernen, Verstehen und gewinnen von Vertrauen in das Flugzeug und seine Besatzung. Diese Übung ist dazu zu komplex und zu lang.