In meinen Seminaren und Vorträgen wird mir immer wieder eine Frage gestellt:
Warum hat gerade die gewerbliche Luftfahrt es geschafft, mehr als 1000-mal fehlerärmer zu arbeiten als jedes andere von Menschen beeinflussbare System auf der Welt?
Eine gute Frage! Kennen Sie die Antwort?
Obwohl ich schon seit 1980 aktiv fliege und in meiner Ausbildung zum Berufspiloten schon den Vorläufer des Crew-Resource-Management (CRM) verinnerlichte, habe ich nie wirklich intensiv darüber nachgedacht.
Erst nach der Idee vor fast 4 Jahren, auch Nicht-Piloten in das hoch komplexe Cockpit eines Verkehrsflugzeuges zu setzen um dort die wesentlichen Erkenntnisse des CRM zu visualisieren und für den Seminar-Teilnehmer zu einer fürs (Berufs)Leben einprägsamen und unvergesslichen Erfahrung zu machen, fing ich an, über diese eigentlich simple Frage nachzudenken.
Mein erster Gedanke war:
Eigentlich müssten ja Raumfahrt und die Medizin genauso fehlerarm arbeiten.
Zum einen geht es auch um Menschenleben und zum anderen stecken in beiden „Branchen“ enorme Forschungs- und Entwicklungsgelder.
So gehen die Realisierungskosten für ein Space Shuttle weit über die eines Verkehrsflugzeuges hinaus.
Doch diese Annahme ist falsch.
In der Raumfahrt beträgt die einkalkulierte Verlustquote 4% und in der Medizin liegt die fatale Fehlerquote bei 0,1%.
Eine Airline fliegt heute jedoch mit einer Verlustquote von unter 0,000001%, Tendenz immer besser werdend.
Die Antworten fand ich dann in der Literatur und Wissenschaft über die Entstehung des CRM, die meine Generation Pilot in den 90ern „on the job“ miterlebt hat.
Noch gut erinnere ich mich an fatale Unfälle renommierter Airlines in den 70ern, wie der Lufthansa Unfall in Nairobi oder Paninternational in Hamburg mit der spektakulären Bruchlandung auf der A7 bei Hasloh.
Dabei schien alles so perfekt in der Entwicklung der Luftfahrt. Endlich gewannen die Flugzeuge mit der Einführung des Turbinentriebwerkes eine nie da gewesene Zuverlässigkeit im Antrieb.
Die Navigation wurde bei „Sicht Null“ bis zur automatischen Landung möglich und die Redundanz der technischen Flugzeugkomponenten war bereits Ende der 80er nahezu ausgereift.
Und trotzdem: Die Zahl der fatalen Unfälle in der Verkehrsluftfahrt nahm nicht ab!
Seit Anfang der 60er Jahre war jedes Verkehrsflugzeug mit einem Flugdatenschreiber und einem Stimmenrekorder im Cockpit ausgestattet. So ist es möglich und auch konsequent realisiert, jeden Unfall eines Airliners bis zur endgültigen Aufklärung zu analysieren.
Zigtausende Daten werden haarklein, oft monatelang immer wieder hin und her bewegt und die Unfallermittler fanden für jedes Flugzeugunglück in der gewerblichen Luftfahrt einen oder mehrere finale Gründe.
Man verbesserte immer wieder die Technik, die Checklisten, die Ausbildung der einzelnen Flugzeugführer, die Anforderungen an die Auswahlkriterien der Piloten und die Vorschriften zum Betrieb der Flugzeuge.
Und trotzdem: Die Zahl der fatalen Unfälle nahm nicht wesentlich ab!
Anfang der 1990er boomte die Luftfahrt mit Einführung der billigen Tickets dann so richtig und die Unfallquote stieg bei einigen Airlines sogar wieder an.
Ganz schnell hatte man die „Schuldigen“erkannt:
Die Einführung des Zwei-Mann Cockpits war es, so die Gewerkschaften und andere Lobbyisten.
Die Cockpit-Crew ist schlichtweg überlastet, so die „Experten“.
Dann die vermeintlich schlechte Wartung durch den hohen Kostendruck bei den aufkommenden Billigairlines, so andere Experten und die Medien.
Beschäftigte man sich aber mit den Unfällen, so kamen Ursachen zu Tage, die so gar nicht in das Beuteschema der „Experten“ passten.
Es waren oft sehr namhafte US Carrier oder europäische Traditions-Airlines, die betroffen waren.
American Airlines, United, Lufthansa, Swiss Air, Cross Air, Lauda Air, Korean Airlines und so weiter.
Gerade bei Korean, der Staats-Airline eines an sich wohlhabenden Industrielandes häuften sich derart die Unglücke, mit vielen hunderten Toten, dass die Gesellschaft drohte, auf den Index der „Never come back“ Fluggesellschaften zu geraten. Der wirtschaftliche und Image Schaden waren immens!
Analysierte man die Ursachen, die zum Verlust eines Flugzeuges geführt haben, ging nicht selten ein Kopfschütteln durch die Reihen der Unfall-Untersuchungs-Kommissionen.
Wie konnte es einem der erfahrensten Crews der Lufthansa passieren, zum Starten die Vorflügel zu vergessen auszufahren (Absturz einer LH 540 in Nairobi 1974)? Das ist die Kategorie Anfängerfehler.
Warum flog eine mit drei hocherfahrenen Crewmitgliedern besetzte DC 8 der United das Flugzeug sehenden Auges leer und landete kurz vor Portland Bruch in einer Vorort Siedlung?
Wieso landet eine 3-Mann Crew mit zwei erfahrenen Flugkapitänen im Cockpit einen Lufthansa-Airbus in Warschau viel zu schnell bei nasser Piste und kracht in die Böschung hinter dem Airport?
Das sind nur drei Beispiele einer langen Liste, die weder etwas mit technischem Versagen, Wetter, schlechter Ausbildung, Kostendruck oder nur zwei Mann im Cockpit zu tun haben.
Ganz im Gegenteil: Man stellte fest, dass gerade mit 3 oder 4 Mann (Frau) besetzte Cockpits wegen banaler Fehler das Flugzeug verloren.
Und jetzt komme ich zur Erklärung, warum gerade in der zivilen Luftfahrt ein komplettes Umdenken im Betrachten des Themas Sicherheit eingesetzt hat.
Der Wettbewerb der Fluggesellschaften nahm Anfang der 90er derart zu, dass eine Gesellschaft mit mehr als einem schweren Unfall in kurzer Zeit oft an den Rand des Ruins getrieben wurde.
Ein Flugzeugabsturz geht durch alle Medien, beklagt häufig viele Tote an Bord und am Boden und trägt das Leid nicht selten in hunderte Familien zugleich.
Fliegen gehört ab den 90ern zum Alltag der Menschen, auch der nicht so betuchten.
Dieses „Problem“ hat z. B. die Raumfahrt nicht. Sie gilt immer schon als sehr riskant und beklagt bei spektakulären Unfällen immer nur wenige Opfer.
Auch die Medizin hat dieses Problem (bis heute) nicht. Stirbt ein Patient oder trägt erheblichen Schaden davon, so kommt das meist gar nicht an die Öffentlichkeit. Der oder die betroffenen Ärzte mach einfach weiter und oft kommen die wahren Ursachen des „Kunstfehlers“ gar nicht raus.
Nicht so in der Verkehrsfliegerei. Alles wird ständig penibel untersucht und aufgezeichnet und – anders als im Krankenhaus – überleben oft die Verursacher des Unglücks, nämlich die Piloten, ihren Fehler auch nicht.
Das Thema Öffentlichkeit hatten wir eben schon.
Fazit:
Man musste der Sache Herr werden und an Stellen für die Ursachen suchen, die bisher nicht, oder nur rudimentär untersucht wurden.
Und so kamen Wissenschaftler zum so unliebsamen, unbequemen, nicht richtig fassbaren, nicht durch technische Eingriffe beeinflussbaren, in der Weiterentwicklung doch so langsamen und antiquierten Faktor: den Menschen.
Und ob das nicht schon schlimm und unpopulär genug war (galt doch der Pilot bis dato als der Held der Lüfte, der Unbesiegbare, der Übermensch, der Unerreichbare…), es kam noch schlimmer.
Nicht der einzelne Mensch schien das Problem allen Übels zu sein, nein, es war das Miteinander der Menschen, die ein Flugzeug bedienen und führen.
Es war totales Teamversagen.
Und es kam noch schlimmer.
Nicht nur die Cockpitbesatzung schien die Ursache allen Übels zu sein, die Kabinencrew gehörte wohl auch dazu.
Geht ja wohl gar nicht! Was hat denn ein/eine "Saft-Schubse(r)" dahinten schon für eine Verantwortung?
Oh je, das schöne Heldenbild der blauen Uniformen mit goldenen Streifen, es drohte in Schieflage zu geraten.
Es wurde zum Kern vorgestoßen: dem in Jahrmillionen sich nur sehr langsam entwickelnden, sehr wenig Fortschritte machenden, Kriege auslösenden, Ehescheidungen provozierenden und schon in der eigenen Familie, der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz sehr streitliebenden, unperfekten Menschen.
Warum sollte nun gerade dieser Mensch in der hoch empfindlichen, in absolut lebensfeindlicher Umgebung operierenden Aluminiumhülle eines engen und vollgepferchten Verkehrsflugzeuges so gut funktionieren, wie es sich die Ingenieure gedacht haben?
Es waren namhafte Airlines aus den USA und Europa, die sich als erste Anfang der 1980er Jahre genau dieser Herausforderung wissenschaftlich und mit enormer Leidenschaft stellten, oft gegen den Widerstand der Helden der Lüfte in den Cockpits (der Heldenstatus wurde ja gerade begraben) und die Geburt des heute in der Welt unvergleichbar erfolgreichen Führungs- und Arbeitsmodells CRM einleiteten.
Fast alle Fluggesellschaften, Hersteller und Dienstleister der operativen Luftfahrt weltweit haben das Crew-Resource-Management Modell als Grundbaustein für Ausbildung und Betrieb übernommen. Es wird immer weiter entwickelt (6. Stufe, Stand 2017) und eine Vielzahl von Psychologen, Arbeitsmedizinern und Soziologen arbeiten jetzt Hand in Hand mit den Crews und Ingenieuren um das Fliegen noch sicherer zu machen, als es schon ist.
Ziel ist es, den ICAO-Standard von einem Totalverlust alle 50 Jahre für eine Gesellschaft, auf 100 Jahre anzuheben.
Das Restrisiko der Passagierluftfahrt kommt jetzt eher aus einer ganz anderen Richtung: dem Terrorismus oder von der kriegerischen Aktivität der zu überfliegenden Länder, also von außen.
Es ist eine bis dato beispiellose Erfolgsstory eines im ökonomischen Prozess hoch anfälligen Mensch/Mensch/Maschine Systems, die die Luftfahrt uns so transparent vorlebt.
Veränderung funktioniert – mit dem richtigen Führungs- und Arbeitsmodell.
Donnerstag, 28. September 2017
Mittwoch, 20. September 2017
Back to the roots – eine Erkenntnis im digitalen Zeitalter
Mit Sextant, Kartendreieck, Zirkel und Fernglas habe ich noch in den 1980er Jahren auf Schiffen die Welt umfahren. Es funktionierte sicher und war nicht langsamer als heute. Diese Instrumente wurden selbst im Jet-Zeitalter anfangs noch im Langstreckenverkehr auf der DC 8 und Boeing 707 eingesetzt.
Als Navigationsoffizier benötigte ich dafür eine Menge gut abrufbares und sicheres Fachwissen. Ein „befriedigend“ reichte dafür nicht. Ferner waren Beharrlichkeit, Präzision, Pünktlichkeit und ein sehr gut funktionierendes Team in meinem Nav-Abschnitt (Abteilung) nötig.
Vermisse ich das heute an Bord eines modernen Airliners oder Schiffes?
Nein, natürlich nicht – höchstens manchmal ein bisschen aus Sentimentalität ;)
Navigation ist zum Kinderspiel geworden, dank GPS und moderner Computer.
Was ich häufig vermisse ist fundiertes Basiswissen in entsprechenden Funktionen.
Das macht Digitalisierung dann wieder gefährlicher als die gute alte analoge Welt.
Denn – Computern fehlt das, was für eine konstant fehler- und stressarme Erledigung von Aufgaben zwingend Voraussetzung ist:
Beides bedingt einander.
Mir und meinen Fluggästen haben meine topografischen und analogen Kenntnisse schon mehr als einmal aus einer Notlage geholfen.
Was nützten die Flug-Supercomputer, wenn Sensoren ihren Geist aufgeben und die Rechner keine oder falsche Daten von außen bekommen?
Dieses Phänomen ist 2009 der Cockpitbesatzung und den anderen 226 Menschen an Bord von
Air France Flug 447 in ihrem Airbus A330 über dem Atlantik zum Verhängnis geworden.
Es fehlten beiden jungen Piloten grundlegende Kenntnisse über Aerodynamik und Flugphysik für das Fliegen in großen Höhen.
Sie gehörten nicht mehr zum Ausbildungsprogramm, da Flugzeuge in diesen Höhen nicht mehr per Hand geflogen werden.
Seit diesem Unfall wird es wieder gelehrt und trainiert – back to the roots.
Fundiertes Fachwissen und Situationsbewußtsein kann nicht durch Computer ersetzt werden!
Im Crew-Resource-Management (CRM) erkannte man seit der „Generation Airbus“ schnell die Gefahren der Digitalisierung und nahm wichtige, neue Punkte für Team- und Führungsverhalten mit in das Training auf.
In meinen Artikeln „Digitalisierung – Fluch und Segen zugleich“ und „Der Mensch ist emotional, sentimental, irrational“ gehe ich näher darauf ein.
Der Mensch bleibt die letzte Barriere im digitalen Zeitalter um fehlerhafte Computerabläufe zu verhindern.
Es lohnt sich, ihm bei allem berechtigten digitalen Fortschritt wieder mehr Zeit und Energie zu widmen.
Die Digitalisierung ist kein technisches Problem – sie ist eine Führungs- und Organisationsherausforderung.
Sonst bleibt der tollste Computer eine dumme Maschine. Wir können das zurzeit in vielen traditionellen Branchen immer häufiger erleben.
Handeln wir, sonst spielt der Kunde König und macht so manche Firmen einfach zu.
Als Navigationsoffizier benötigte ich dafür eine Menge gut abrufbares und sicheres Fachwissen. Ein „befriedigend“ reichte dafür nicht. Ferner waren Beharrlichkeit, Präzision, Pünktlichkeit und ein sehr gut funktionierendes Team in meinem Nav-Abschnitt (Abteilung) nötig.
Vermisse ich das heute an Bord eines modernen Airliners oder Schiffes?
Nein, natürlich nicht – höchstens manchmal ein bisschen aus Sentimentalität ;)
Navigation ist zum Kinderspiel geworden, dank GPS und moderner Computer.
Was ich häufig vermisse ist fundiertes Basiswissen in entsprechenden Funktionen.
Das macht Digitalisierung dann wieder gefährlicher als die gute alte analoge Welt.
Denn – Computern fehlt das, was für eine konstant fehler- und stressarme Erledigung von Aufgaben zwingend Voraussetzung ist:
- ein funktionierendes, erfolgreiches und situationsabhängiges Teamwork
- ständiges Situationsbewußtsein
Beides bedingt einander.
Mir und meinen Fluggästen haben meine topografischen und analogen Kenntnisse schon mehr als einmal aus einer Notlage geholfen.
Was nützten die Flug-Supercomputer, wenn Sensoren ihren Geist aufgeben und die Rechner keine oder falsche Daten von außen bekommen?
Dieses Phänomen ist 2009 der Cockpitbesatzung und den anderen 226 Menschen an Bord von
Air France Flug 447 in ihrem Airbus A330 über dem Atlantik zum Verhängnis geworden.
Es fehlten beiden jungen Piloten grundlegende Kenntnisse über Aerodynamik und Flugphysik für das Fliegen in großen Höhen.
Sie gehörten nicht mehr zum Ausbildungsprogramm, da Flugzeuge in diesen Höhen nicht mehr per Hand geflogen werden.
Seit diesem Unfall wird es wieder gelehrt und trainiert – back to the roots.
Fundiertes Fachwissen und Situationsbewußtsein kann nicht durch Computer ersetzt werden!
Im Crew-Resource-Management (CRM) erkannte man seit der „Generation Airbus“ schnell die Gefahren der Digitalisierung und nahm wichtige, neue Punkte für Team- und Führungsverhalten mit in das Training auf.
In meinen Artikeln „Digitalisierung – Fluch und Segen zugleich“ und „Der Mensch ist emotional, sentimental, irrational“ gehe ich näher darauf ein.
Der Mensch bleibt die letzte Barriere im digitalen Zeitalter um fehlerhafte Computerabläufe zu verhindern.
Es lohnt sich, ihm bei allem berechtigten digitalen Fortschritt wieder mehr Zeit und Energie zu widmen.
Die Digitalisierung ist kein technisches Problem – sie ist eine Führungs- und Organisationsherausforderung.
Sonst bleibt der tollste Computer eine dumme Maschine. Wir können das zurzeit in vielen traditionellen Branchen immer häufiger erleben.
Handeln wir, sonst spielt der Kunde König und macht so manche Firmen einfach zu.