Trotz immer mehr Fokus auf die Führungskräfte- und Personalentwicklung tendieren die Reibungsverluste zwischen Führung und Geführten seit einiger Zeit wieder nach oben.
TUI fly ist das aktuellste Beispiel.
Warum senkt sich die Fehlerquote in Unternehmen nicht mit dem Fortschritt der Human Factor Forschung?
Ich sehe aus der Erfahrung mit dem Crew-Resource-Management sechs Faktoren, die erfüllt sein müssen, bevor eine wirklich positive Veränderung in der Führungs- und damit Unternehmenskultur eintritt:
- ich muss das Problem „eigenes Führungsverhalten“ als solches erkennen
- ich brauche dafür einen klar verständlichen, erprobten und praktikablen Lösungsansatz
- ich brauche qualifizierte Begleitung von außen
- ich brauche einen verbindlichen, von allen akzeptierten, verständlichen Regel- und Verhaltenskodex
- ich brauche den Willen, es zu tun
- ich muss es trainieren können
Es gibt ja positive Beispiele, dass das in Unternehmen gelingt. Meist jedoch nur bei inhabergeführten Gesellschaften wie bei Bodo Janssen (Upstalsboom) oder der Drogeriemarktkette DM. Sehr selten kann es aus dem inneren Antrieb einer kleinen Gruppe, die sich innerhalb des Unternehmens gebildet hat, gelingen. Eine solche Ausnahme ist wohl Eckes-Granini, wie in „Führen mit Hirn“ von Sebastian Purps-Pardigol beschrieben. So gut wie nie waren Berater der Auslöser.
Taugen die meisten Ansätze, wirklich Veränderungen in der Führung von Menschen auszulösen? Ein wenig Selbstkritik der Berater- und Coachingbranche ist da schon angebracht.
Schon bei Punkt 2 [praktikabler, erprobter Lösungsansatz] meiner Liste sind doch Fragen offen. Wie viele der gepriesenen Ratschläge gibt es nur im theoretischen Kokon, unpräzise, ohne jeden Nachweis der praktischen Tauglichkeit.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel:
„Führungskräfte sollen authentisch und emotional sein.“ Ohne klaren Kontext, der festlegt, was mit „authentisch“ gemeint ist, ist dieser Begriff untauglich für Verhaltensänderungen.
Ein cholerischer Chef schreit ständig in der Firma rum. Er ist super authentisch, macht er zuhause auch. Er ist halt so, ihn muss man zu nehmen wissen.
Emotional ist auch gut: ich treffe Entscheidungen aus dem Bauch. Ist das gemeint?
Der Begriff „emotional“ wird in der psychologischen Forschung anders verwendet und taugt kaum dazu die Top-Skills einer guten Führungskraft zu beschreiben.
Emotionale oder auch Bauch-Entscheidungen sind psychologisch gesehen weder gut noch böse, haben keinen Vernunftaspekt, keine Moral, können sich komplett widersprechen und der Bauch kennt kein „du“.
Bei Punkt 4 [akzeptierter Verhaltenskodex] gibt es in der Praxis leider klare Klassenunterschiede.
Es gilt immer für die anderen, nicht für mich.
Wenn ich dann noch, wie schon von Beratern gelesen, die Absolution in der Form erteile, dass eine Führungskraft NICHT IMMER Vorbild zu sein braucht, wird das gerade von diesem Personenkreis als Rechtfertigung für eigene Regelverstöße gesehen. Eine Führungskraft muss IMMER Vorbild sein, zumindest in der zugedachten Führungsrolle. Sie darf aber Fehler machen. Die sollte sie dann offen benennen und korrigieren, das ist auch ein vorbildhaftes Verhalten. Bei Firmen, in denen der Wandel zu einer guten Führungskultur gelungen ist, wurde immer oben angefangen:
in der 1. Führungsebene.
Die größte Herausforderung sehe ich jedoch im Punkt 5 [Der Wille, es zu tun].
Selbst wenn alle anderen Faktoren erfüllt sind, scheitert jeder Veränderungsprozess daran, wenn der Wille zur EIGENEN Veränderung fehlt. Um den Willen eines Menschen wirklich positiv zu beeinflussen braucht es schon mehr als nur Fakten und Zahlen. Es braucht einen sehr klar beschriebenen Weg zur Verbesserung der eigenen Situation und das Bewusstsein, was Wille überhaupt ist. Die Äußerung „ich will“ deckt sich häufig nicht mit dem Willen, den die moderne Psychologie definiert. Es wird schnell daher gesagt und meint häufig „na ja, können wir vielleicht mal versuchen“.
Ich bin immer mehr ein Freund klarer Sprache und eindeutiger Worte geworden. Ich weigere mich Begriffe wie „emotional“ „Vorbild“ oder „authentisch“ frei floatend zu verwenden.
Ich halte mich an DIE Wissenschaft, die Führungskräfte- und Personalentwicklung ausmacht, und die der wesentliche Faktor für den bahnbrechenden Erfolg des
Crew-Resource-Managements ist – die moderne Psychologie. Im Wörterbuch Psychologie von Werner D. Fröhlich kommt daher der Begriff „authentisch“ gar nicht vor.
In der Psychologie wird von Eigenschaften wie Demut und Tugend gesprochen, immer exakt erklärt. Als ich diese beiden bedeutenden Eigenschaften einer Führungskraft zum ersten Mal gehört habe, dachte ich:
„Oh Schreck, da schlagen ja die Leute die Hände überm Kopf zusammen, wenn ich mit solchen Kamellen von Oma komme.“
Hier dachte der Unwissende. Mir wurde mehr und mehr klar, dass ich mich unbedingt mit der wissenschaftlichen Psychologie auseinandersetzen muss, auch ohne selbst Psychologe zu sein.
Ich bekomme immer tieferen Einblick in die Welt der Psychologie – und es eröffnet sich mir das unglaublich klare Fundament, auf dem der Erfolg des Crew-Resource-Managements als Führungsmodell fußt.
Dabei gefällt mir ein herausragender Wissenschaftler von Anfang an sehr gut, wegen seiner praxistauglichen Ansätze. Prof. Dr. Dr. Raphael Bonelli aus Wien (wo auch sonst her ;)) versteht es, die Welt des menschlichen Verhaltens auch für Nicht-Wissenschaftler so verständlich und einleuchtend zu beschreiben, dass es einen hohen praktischen Wert in meiner täglichen Arbeit als Trainer, Coach, Seminarleiter und Führungskraft hat. Denn mein Ziel ist es, dass Menschen nicht nur die Veränderung wollen, sondern auch noch wollen wollen – und das beginnt immer bei einem selbst.
Das nachfolgende Video von Raphael Bonelli erklärt sehr schön und kurzweilig, warum der Wille das Entscheidende und so wichtig für das Gelingen von Veränderungsprozessen ist.
Und es deckt den verklärenden Umgang mit dem Modebegriffen „Bauchgefühl“ und „Emotionen“ auf.
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