Wie geht die Crew eines Airliners damit um, wenn der Kapitän die Übersicht verliert und auf dem Weg zu einer tödlichen Entscheidung ist?
Der nachfolgende Fall ist aus dem ASRS (Aviation Safety Reporting System) der NASA und tatsächlich passiert.
Ein wesentlicher Teil des Fehlermanagements im Crew-Resource-Management (CRM) ist das Lernen aus Fehlern anderer.
Vor der Einführung des ASRS musste die Führungskultur in Cockpit und Kabine komplett neu definiert werden.
Denn, nur mit offener Kommunikation und in einem bestrafungsfreien Arbeits- und Führungsraum kann das System ASRS funktionieren.
Die Elemente des CRM haben in 30 Jahren diese Kultur zwischen Kapitän, Mannschaft, Technikern und Fluglotsen bei Airlines rund um die Welt geschaffen.
Die Unfallzahlen sanken seit dem um 90%!
Und jetzt der Fall, der sich vor einiger Zeit tatsächlich so abgespielt hat:
Die zweistrahlige Boeing 717 einer bekannten Low-cost Airline steht am Start der Landebahn 22R am Flughafen JFK international in New York.
Mit über 30 Minuten Verspätung starten über 100 Passagiere und 4 Besatzungsmitglieder zu ihrem nächsten Kurzstreckentrip an der Ostküste.
Es ist kalt und es fällt etwas Schnee.
Die Cockpitcrew hat es eilig, denn Verspätungen werden beim Management nicht gerne gesehen.
Schnell gehen Kapitän und 1. Offizier die Checkliste für den Start durch und nach der Startfreigabe durch den Tower schiebt der Kapitän, er ist auf diesem Flug der „Pilot Flying“, die Schubhebel zügig auf Startleistung.
Ganz hinten in der Kabine haben die beiden Flugbegleiterinnen angeschnallt Platz genommen.
Sie sitzen bei diesem Flugzeugmuster im Heck direkt zwischen den beiden Triebwerken.
Nancy M. ist die Chefin der Kabine und mit 15 Jahren Berufserfahrung schon lange im Geschäft.
Beim Hochlaufen der Turbinen hören beide Stewardessen ein unglaubliches Kreischen an der rechten Turbine.
Ein solch fürchterliches Geräusch hat Nancy M. noch nie in einem Flugzeug vorher gehört.
Ohne Zögern greift sie zum Bordtelefon, das sie direkt mit der Cockpitcrew verbindet.
Sie hält das Mikrofon des Hörers vor den Mund und ruft dreimal laut „abort“, Abbruch!
Der Kapitän zieht die Gashebel zurück und bricht den Start ab. Leicht verärgert fragt er nach, was los ist. Sie berichtet ihm von dem fürchterlichen Geräusch und das sie nie zuvor so etwas Kreischendes gehört hat.
Im Cockpit hatte man nichts Außergewöhnliches gehört, und auch alle Anzeigen waren normal.
Der Kapitän teilte ihr kurz angebunden mit, dass er einen zweiten Startversuch unternimmt und zurück auf die Startposition rollen wird.
Nach den CRM-Regeln kann jedes Crewmitglied, also auch das Kabinenpersonal, den Befehl zum Startabbruch geben.
Der Kapitän bzw. Pilot Flying hat das sofort umzusetzen, wenn noch möglich.
Nancy M. war damit überhaupt nicht einverstanden. Sie entgegnete über das Bordtelefon, dass sie in diesem Fall eine Tür öffnen und das Flugzeug damit startunfähig machen wird.
Sie bestand auf eine Prüfung der Triebwerke am Gate.
Jetzt wurde der Kapitän, auch er ist schon sehr lange im Geschäft, richtig böse. Er würde jetzt zurück ans Gate rollen, Sie an die Luft setzen und dann den Flug antreten, so seine Worte.
Am Gate angekommen, telefonierte Nancy M. sofort mit ihrem nächsten Vorgesetzten und setzte eine sofortige Prüfung der Triebwerke durch die Technik durch.
Dabei stellte sich heraus, dass die rechte Turbine, wahrscheinlich beim vorhergehenden Anflug, durch Eisstücke so beschädigt wurde, dass beim Start unter Voll-Last akute Explosionsgefahr bestand.
Der Flug wurde gecancelt und eine Ersatzmaschine mit Ersatzcrew geordert.
Was machte jetzt der vorgesetzte Flugleiter der beiden aneinander geratenen Crewmitglieder?
Er meldet den Vorfall der NTSB (US Behörde für Verkehrssicherheit) und spricht Nancy M. Ihren Dank für ihr beherztes und konsequentes Verhalten aus. Sie hat nach den CRM-Regeln genau richtig gehandelt.
Mit dem Kapitän spricht er über sein nicht den CRM-Regeln, sicherheitsgefährdendes Verhalten und seinen unangebrachten, barschen Auftritt gegenüber Nancy M.
Er schickt den Kapitän zu einer Nachschulung in Sachen Crew-Resource-Management.
Er darf nach der Schulung weiter für die Gesellschaft als Kapitän fliegen und bekommt eine Eintragung in seine interne Personalakte, die nach einem Jahr ohne Vorkommnisse wieder gelöscht wird.
Weitere Maßnahmen erfolgen keine.
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