Auch durch das offene und unvoreingenommene Austauschen von erfolgreichen Verhaltensweisen außerhalb vorgeschriebener Verfahren, wird die Gefahr von möglichen Fehlerketten bei anderen vermieden. Verfahren werden verbessert, Checklisten korrigiert sowie Ausbildung und Trainings können schneller weiterentwickelt werden.
In der Luftfahrt ist das ASRS (Aviation Safety Reporting System) ein essentieller Bestandteil der exzellenten Sicherheits- und Fehlerkultur.
Mit Hilfe dieses immer weiter entwickelten Systems profitieren Crews weltweit von Erfahrungen einzelner Besatzungen, die Handlungen ohne fatale Konsequenzen begangen oder großen Schaden durch Übergehen der Verfahrensregeln vermieden haben.
Jeden Tag melden Crews bei sich selbst bemerktes Fehlverhalten oder außergewöhnliche Ereignisse, die nicht mit den festgelegten Verfahren in den Griff zu bekommen waren.
Der daraus entstehende Wert zur Steigerung und Erhaltung der Flugsicherheit und Effizienz ist enorm.
Dieses System bewahrt viele Menschen vor dem Tod durch unnötig doppelt begangene Fehler und nicht kommunizierte Verfahrensschwächen. Und es bewahrt die Airlines weltweit vor großen, wirtschaftlichen Schäden durch sich ständig wiederholende Fehler.
Die Voraussetzung, dass dieses System in der Luftfahrt so gut funktioniert, ist die psychologische Sicherheit im Team. Keiner hat Angst vor Bestrafung und Schuldzuweisung.
Es geht um das gemeinsame besser werden und Lernen aus den Erfahrungen und Fehlern anderer.
Erst mit dem Crew-Resource-Management (CRM) hat die Luftfahrt die dafür nötige Führungs- und Arbeitskultur geschaffen.
Im Folgenden berichte ich Ihnen zwei Beispiele aus dem aktuellen, öffentlichen NASA-Safety Report im Januar 2019.
Die NASA koordiniert das ASRS aller US-Airlines für die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA und sorgt für den internationalen Austausch dieser Reports, seiner Erkenntnisse und Konsequenzen.
Ähnliches gibt es in Europa und Asien. Auch Russland und viele afrikanische Staaten haben begonnen sich diesem System anzuschließen.
Hier die beiden Beispiele:
Fall 1
Ein A320-Kapitän positionierte ein Flugzeug auf dem vereisten Vorfeld neu. Die Vorschriften und Regeln wurden befolgt und mit äußerster Sorgfalt durchgeführt, aber die herrschenden Bedingungen triumphierten schließlich über alle Verfahren und bereits getroffenen Vorsichtsmaßnahmen.
Operations beauftragte die Flugbesatzung, das Flugzeug an die Nordrampe zu versetzen, da aufgrund der witterungsbedingten, außergewöhnlichen Betriebsabläufe keine Gates mehr zur Verfügung standen. Ich (Kapitän) rief den Chefpiloten an, um zu berichten, was wir vorhaben. Das ist Bestandteil des SOP (Standard Operational Procedure).
Alle Sicherheitsvorkehrungen wurden von uns getroffen. Mir wurde von der Betriebsleitung mitgeteilt, dass auf unserem jetzigen Platz andere Flugzeuge geparkt werden sollten.
Wir haben die Freigabe der Bodenkontrolle erhalten und sind langsam und vorsichtig gerollt. Einweiser führten uns und ich rollte sehr langsam. Der leitende Einweiser signalisierte mir, mit zwei beleuchteten Einweiserstäben, geradeaus zu rollen, und die beiden Flächeneinweiser, ebenfalls mit beleuchteten Stäben, positionierten mich exakt.
Ich hielt das Flugzeug auf Signal des führenden Einweisers hin an, und wollte die Parkbremse setzen, als das Flugzeug plötzlich anfing, sich von selbst vorwärts zu bewegen. Vor uns lag eine Flughafenumzäunung aus Metalldraht und einige andere große Objekte auf der anderen Seite des Zauns. Als das gebremste Flugzeug schneller zu rutschen begann, hatte ich kein anderes Mittel als den Umkehrschub zu betätigen. Dadurch wurde das Flugzeug gestoppt. Aber es rutschte seitwärts nach links weg, da es keine Traktion auf der Rampe hatte. Das Triebwerk Nummer 2 streifte einen dort abgestellten Stromerzeuger leicht.
[Ergebnis nach Untersuchung des Zwischenfalls:
durch den gegen das Verfahren verstoßenden Gebrauch der Schubumkehr in dieser Situation verhinderte der Kapitän einen größeren Schaden]
Fall 2
Während mäßiger Turbulenzen begann der Kapitän einer B777, mit Genehmigung der Flugsicherung, zu steigen um in ruhigere Luftschichten zu gelangen. Die anschließenden Minuten forderten schlagartig und völlig unerwartet das ganze Können der Cockpitcrew.
Mehrere Flugzeuge unterhalb unserer Höhe hatten schwere Turbulenzen gemeldet. Wir waren bei FL370 (Flugfläche 370 = 37000 Fuß) in moderaten Turbulenzen. Wir begannen einen Steigflug auf FL390 (13.000m), aber bei FL378 hatten wir plötzlich die Kontrolle über die Fluggeschwindigkeit verloren. Es wurden zum Glück keine Grenzwerte für die zugelassene Fluggeschwindigkeit überschritten, weder nach unten noch nach oben.
Wir leiteten sofort manuell (Autopilot aus, automatische Schubkontrolle aus) den Sinkflug zurück auf FL370 (12.300m) ein und informierten die Flugsicherung. Als wir versuchten, den Sinkflug einzuleiten, stellten wir fest, dass wir keine Kontrolle über unsere Höhe hatten. Trotz Leistungshebel im Leerlauf und ausgefahrenen Luftbremsen hielt das Flugzeug die Höhe und wurde schneller. Wir surften einfach auf einer extremen Luftströmung, die verhinderte, dass wir sinken konnten.
Ich (Kapitän) musste äußerst sensibel mit der Hand steuern um einen gefährlichen Zustand zu verhindern.
Nach etwa einer Minute begann das Flugzeug ebenso plötzlich und heftig den Sinkflug, der uns schnell zurück auf FL370 brachte.
Es wurden danach keine weiteren heftigen Turbulenzen festgestellt.
Wir hatten etwa eine Minute lang keine Kontrolle über Fluggeschwindigkeit oder Höhe. Es gab keine WSI FPG (Weather Services International Flight Planning Guidance) für Turbulenzen auf unserer Flugstrecke in diesem Gebiet.
Wenn ich mich recht erinnere, erschien mir die Außentemperatur in dieser Höhe und Jahreszeit erheblich wärmer als normal.
[Ergebnis nach Untersuchung des Zwischenfalls:
durch das verfahrenswidrige, sofortige Abschalten des Autopiloten und der automatischen Schubkontrolle in dieser Höhe verhinderten die Piloten einen extrem gefährlichen Flugzustand durch zu hohe bzw. zu niedrige Geschwindigkeiten.]
In beiden Fällen verfügten die Kapitäne über sehr viel Erfahrung und eine exzellente Fach- und Crew-Resource-Management Ausbildung sowie umfangreiches Training.
Auch die Hudson-Landung von Kapitän Chesley Sullenberger im Jahr 2009 (Das Wunder vom Hudson) gelang nur, weil Sullenberger nicht nach Checkliste gehandelt hat. Der wesentliche Handgriff war, sofort nach dem Auftreten der doppelten Triebwerksstörung in 2.850 Fuß (950m) Höhe, die letztlich zum Ausfall beider Turbinen geführt hat, die Hilfsturbine (APU) einzuschalten um die Stromversorgung und elektrische Hydraulikpumpe (PTU) in Betrieb zu halten.
Dieser Punkt (APU einschalten) kam in der Checkliste erst an 15. Stelle!
Ein nahezu zeitgleicher, doppelter Triebwerkausfall unter 10.000 Fuß war bis dahin nicht in den Verfahren vorgesehen. Er ist auch bis dahin nie so vorgekommen.
Die Verfahren und Checklisten für die zweimotorigen Airbus-Flugzeuge wurden nach diesem Zwischenfall umgehend überarbeitet.
Erst eine genaue Analyse und die anschließende Veröffentlichung aller Ergebnisse von Störfällen kann im Crew-Resource-Management zur Verbesserung der weltweiten Sicherheitsstandards, Verfahren und Effizienz führen.
Denn, was ich nicht erfahre, kann ich auch nicht verbessern!