Psychologische Sicherheit ist der Kern für das Gelingen im Führungs- und Arbeitsmodell
Crew-Resource-Management.
Sie setzt voraus, dass es im Team (Beruf, Gesellschaft, Partnerschaft) ungefährlich ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.
Risiken sind konkret: ausgelacht werden, Gesichtsverlust, unwichtig zu erscheinen, Schwäche zeigen, störend zu sein etc.)
Der große Gegenspieler der psychologischen Sicherheit ist die Kränkung.
Sie ist die Giftspritze für menschliche Beziehungen und damit auch für Teams.
Letztlich gelingt psychologische Sicherheit nur in einer sehr kränkungsarmen Atmosphäre.
Die Formen, und enormen (fatalen) Konsequenzen von Kränkung in allen zwischenmenschlichen Beziehungen (Arbeit wie Privat) werden von Prof. Reinhard Haller im folgenden Vortrag sehr gut erläutert.
Sein 2015 dazu erschienenes Buch „Die Macht der Kränkung“ ist ein Bestseller, nicht nur in Österreich.
Kränkung fällt in unserer Arbeitswelt immer weniger direkt auf. Indirekt führt sie jedoch zu einem quantenhaften Anstieg von oft kränkungsbedingten, multisymptomatischen Krankheitsbildern, wie z.B. Burnout.
Auch innere Kündigungen werden maßgeblich durch Kränkungen ausgelöst.
In einer in der FAZ im August 2018 erwähnten Studie haben in Deutschland 71% der Mitarbeiter innerlich gekündigt. Sie machen nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Der bezifferte wirtschaftliche Schaden wird auf mindestens 118 Milliarden Euro jährlich geschätzt.
Warum ist das fast geräuschlos möglich?
Die Unternehmen haben oft eine hervorragend kaschierende „Wertschätzungs-Fassade“ zur Vernebelung der tatsächlichen Verhältnisse errichtet.
Sie bedienen sich dabei nicht selten Beratern, die in Wahrheit nichts im Unternehmen verändern. Das will man auch gar nicht. Die Veränderung auf Papier, oder moderner in PowerPoint, reicht dafür völlig aus.
Ich erlebe immer wieder, dass die Fassade der Wertschätzung benutzt wird um der "neuen Führungskultur" formell Genüge zu tun. Es entstehen toll klingende Hochglanz-Broschüren über die Werte im Unternehmen.
Hinter der Fassade wird jedoch, in Wort und Tat, nahezu weiter ungebremst "entwertet" – und zwar durch genau die von Prof. Haller beschriebenen Formen der Kränkung. Nur Art und Worte dafür sind netter und geschickter gewählt als früher.
Dadurch lässt sich die wahre Unternehmenskultur und ihre Missstände noch schwerer ausmachen als früher – den Mitarbeitern und dem Unternehmen wurde ein Bärendienst erwiesen.
Ich kann Ihnen dafür Beispiele aus bedeutenden Unternehmen nennen:
So analysiert Amy C. Edmondson in ihrem neuesten Buch „The Fearless Organisation“ (Link zu Amazon) den VW-Diesel-Skandal als eine Folge von kaum vorstellbarer Kränkungen und Herrschsucht in einem steil-hierarchischen Macht-Ohnmacht Verhältnis. Sie belegt das an verifizierten, für einen Außenstehenden kaum zu glaubenden Gesprächsprotokollen der Beteiligten.
Auf der Machtseite stehen Herr Winterkorn und seine nahen Erfüllungsgehilfen, auf der Ohnmachtseite viele leitende Ingenieure und Produktdesigner im mittleren Management.
Ein hoher VW-Manager sagte vor vielen Jahren schon in aller Öffentlichkeit zu mir: wir sind ein zaristisch geführter Betrieb.
Hierarchie bedeutet per Definition immer eine Macht-Ohnmacht-Beziehung. Wird sie auf der Machtseite durch die Kränkung wesentlich beeinflusst, entstehen nicht nur menschliche Schicksale und Tragödien – es bildet sich auch das Potential für einen gewaltigen wirtschaftlichen Schaden, wie es u.a. die Beispiele Volkswagen, Deutsche Bank, Wells Fargo oder NOKIA zeigen.
All diese Unternehmen verfügten seit vielen Jahren über hervorragend designte Leitlinien einer modernen Führungskultur und personell wie finanziell gut ausgestatteten HR-Abteilungen.
Trotzdem ist das fatale Machtwerkzeug der Kränkung ohne Probleme, teils unter den Augen von Kollegen, und sogar vor Kunden (auf Messen), möglich. In diesen Unternehmen dominiert die durch Kränkungen initiierte Angstherrschaft, teils bis heute.
Betroffen ist zunächst das höhere und mittlere Management, nicht so sehr der Mitarbeiter am unteren Ende der „Befehlskette“.
Er ist heute nicht nur zu gut geschützt, durch Arbeitsgesetze, Betriebsräte etc., er ist als „Opfer“ auch uninteressant. Denn, er kann nicht als direkter Erfüllungsgehilfe zur Durchsetzung von Verblendung, Größenwahn oder Herrschsucht dienen. Er ist auch nicht erpressbar genug.
Am unteren Ende der Hierarchie kommt das Desaster erst an, wenn großer wirtschaftlicher Schaden das Unternehmen trifft. Dann gehen Jobs auf allen Ebenen schnell zu tausenden verloren.
Manager, die diese Angstherrschaft verbreiten, sind meist selbst in einer paramilitärisch/monarchistischen Unternehmenskultur groß geworden. Ihre Ziehväter haben sie nicht selten entsprechend behandelt und leiden lassen. Amy Edmondson erklärt dazu das Verhältnis zwischen Piech und Winterkorn bei Volkswagen.
Diese Manager „erziehen“ dann wieder die nächste Generation der Angstherrscher. Darin sehe ich auch den wesentlichen Grund, warum Unternehmen wie die Deutsche Bank und Volkswagen nicht mal im Ansatz aus der Führungsmisere rauskommen. Bei anderen brodelt es bereits unter der Decke des „noch erfolgreich seins“.
Die Neurowissenschaft ist sich nicht einig, ob Menschen mit solchen Prägungen sich überhaupt noch nachhaltig und aus eigener Überzeugung ändern können. Einfach ist es jedoch auf keinen Fall.
Auch der Weg älterer Flugkapitäne vom „Helden der Lüfte“ zum anerkannten Teamführer war lang – und ist auch nicht überall gelungen. Erst die Zeit erledigte das Problem dann endgültig.
Möglich war das nur durch die konsequente Implementierung des Crew-Resource-Managements in die gesamte operative Luftfahrt, vom Recruiting über die Erstausbildung bis zu den laufenden, häufigen Checks und Fortbildungen der Crews.
So fallen heute bei den Auswahlverfahren der führenden Luftfahrtgesellschaften bis zu 80% der Kandidaten wegen persönlicher, psychologisch bedingter Nichteignung durch und weniger aus medizinischen oder fachlichen Gründen.
Diese Instrumente und ein vergleichbares Modell gibt es in Industrie und Kliniken nicht mal im Ansatz.
Hier werden Führungskräfte nach wie vor hauptsächlich fachorientiert ausgewählt. Die persönlich-psychologische Eignung spielt in der Regel keine Rolle.
Kann man daran wirklich etwas ändern?
Ich meine ja!
Die nötige Veränderung sollte in kleinen Schritten erfolgen, bestehend aus Überzeugungsarbeit
ganz oben und das Weglassen jeglicher Drohungen oder Angstverbreitung. Das Wissen darum sollte gleichzeitig in der Praxis trainiert werden.
Weiter ist die Beraterindustrie gefordert. Sie versagt bei diesem Thema auf breiter Linie. Es fehlen Berater und Interims-Manager mit den richtigen Führungsqualitäten und Erfahrung, die operativ an der Umsetzung von Veränderungen beteiligt werden können, und dafür auch die Verantwortung übernehmen und gemessen werden können. Da nützen alleine weder ein brillanter Hochschulabschluss noch forsches Auftreten.
Das Recruiting und die Auswahl von Führungskräften sind in ihrer gegenwärtigen Form weitgehend ungeeignet. Ferner fehlen in den allermeisten Unternehmen bewährte, praxisorientierte Ausbildungs- und Trainingsformen. Der Stellenwert dafür ist bei weitem nicht hoch genug angesetzt.
Die ersten Unternehmen fangen an umzudenken. Sie müssen es auch, wenn sie im globalen und schnellen Wettbewerb weiter eine Chance haben wollen. Doch, denken alleine reicht nicht, vor allem die C-Ebene sollte dazu vorbildhaft handeln.
Das ist ihre größte Chance in Zukunft noch mitzuspielen.
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