Und da lief gleich in der ersten Trainings-Sequenz nichts mehr nach Plan.
Die Gewitterfront erreichte Hamburg früher als von mir berechnet und die Managerinnen im Cockpit waren gleich in den ersten Minuten ihres Trainings extremen Bedingungen ausgesetzt.
Schwerste Turbulenzen und Windscherungen in Gewittern direkt über dem Airport Hamburg machten eine Landung unmöglich.
In der ersten Übung klappt das Landen nur per Autopilot, da weder eine Einweisung erfolgte noch annähernd ausreichend Zeit zum Trainieren war.
Beide Managerinnen habe ich nach plötzlichem Pilotenausfall, völlig überraschend und ohne Vorwarnung ins Cockpit gebeten. Sie haben ein Flugzeug-Cockpit noch nie vorher von innen gesehen.
Nach anfänglichen Irritationen stellte ich ihnen das FOR-DEC-Modell vor. Damit gelang es der Crew zügig eine richtige Entscheidung, auch unter Stress, zu treffen.
Die lautete: per Funk Hilfe am Boden anzufordern. Die Flugbegleiterin war in der Lage, das Funkgerät für die Cockpitcrew dafür einzustellen. So das Szenario.
Doch mein Plan, in Hamburg per "Autoland" die Landung zu moderieren war durch das stets real ablaufende Wetter (wir wollen ja kein "Wunschkonzert") in unserem professionellen Airline- Simulator unbrauchbar.
Im Nachhinein hätte ich heute lieber eine andere Region für die erste Übung wählen sollen, ohne so große Gewittergefahr. Mein Fehler!
Es war das erste Mal, in über 4 Jahren und hunderten Trainings, dass gleich in der ersten Übung meine Planung zu 100% unbrauchbar wurde.
Was nun Trainer?
Jetzt zeigt sich die Belastbarkeit des gut trainierten Führungs- und Arbeitsmodells
Crew-Resource-Management. Es muss schnellen, teils extremen Veränderungen Stand halten um das Ziel, in diesem Fall eine sichere Landung, zu erreichen.
Ich musste die Crew erheblichen, von mir noch nie vorher in diesem Stadium des Trainings geforderten Mehrbelastungen aussetzen.
Zum einen musste ich sie aus der Gewitterzone so raus navigieren, dass der Autopilot sich nicht durch übergroße Turbulenzen abschaltete.
Zum anderen musste der Bordcomputer für eine automatische Landung an einem Ausweichflughafen ohne Gewitter fast komplett neu programmiert werden.
Der Stresspegel durfte dabei nicht weiter steigen. Ansonsten steigt die Gefahr der Fehlbedienung in dem völlig fremden Cockpit enorm.
Auch musste ich die Crew kurz ganz alleine lassen um einen Airport rauszusuchen, der in Reichweite lag und keine Gewitterlage hatte.
Dabei durfte ich die navigatorische und situative Übersicht nicht verlieren, da ja das Wetter die möglichen Kurse bestimmte.
Hannover bot mir ein Zeitfenster von 90 Minuten ohne Gewitter. Die nächste heranziehende Gewitterlinie war noch weit im Münsterland und zog nicht zu schnell in Richtung Hannover.
Was tat ich jetzt als erstes?
Ich informierte die Cockpitcrew über die zusätzlichen Herausforderungen und meinen neuen Plan, sie um die Gewitter herum nach Hannover zu lotsen. In der dabei zur Verfügung stehenden Zeit werde ich mit der rechts sitzenden Pilotin den Bordcomputer neu programmieren, so dass eine automatische Landung in Hannover möglich wird. Kraftstoff war ausreichend an Bord.
Mit Hilfe des Wetterradars (die roten Zonen sind die Gewitterzellen) lotste ich sie "vom Boden", um die Gewitterzellen, auf einem Umweg über West-Niedersachsen zurück nach Hannover. Dabei programmierte die Co-Pilotin rechts nach meinen Anweisungen in ganz kleinen Schritten den Bordcomputer, während die fliegende Pilotin links auf dem Kapitänssitz nach meinen Anweisungen Kurs, Höhe und Geschwindigkeit einstellte.
Danach bereiteten die Managerinnen nach meinen Anweisungen, in klarer Rollenteilung, die Landung vor. Die fliegende Pilotin bediente per Flugmanagement-System und Autopiloten die Steuerung und Navigation, die "nicht fliegende" Pilotin bereitete technisch schrittweise den A320 für die Landung vor (Landeklappen, Bremscomputer, Fahrwerk, Leistungshebel und letztlich Umkehrschub). Dabei war das richtige Zeitmanagement der entscheidende Punkt, Stress zu vermeiden.
Die wichtigste Regel für mich lautete jetzt: 5 Minuten vor dem Flugzeug sein.
Die Crew setzte, nach fast einer Stunde, sicher in Hannover-Langenhagen auf der Piste 27R auf, 25 Minuten vor der nächsten Gewitterlinie.
Beide Managerinnen versicherten mir, dass sie nicht nur viel in Sachen Führung, Kommunikation, Entscheidungsfindung und Stressmanagement gelernt und erlebt haben – in einer bisher für unmöglich gehaltenen kurzen Zeit – sondern das sie dieses Erlebnis auch sicher nicht vergessen werden.
Ich gestand ein, das es so heftig in all den Jahren meiner Trainings am Anfang noch nie war. Und ich gestand ebenfalls ein, dass es mein Fehler in der Vorbereitung war. Ich hatte das Gewitterrisiko nicht genug im Fokus.
Doch, hätte ich am ursprünglichen Plan festgehalten und die Landung in Hamburg erzwungen, wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Absturz gekommen.
Die goldene Regel dazu lautet: Verliebe Dich nie in die erste Lösung!
Sofort diskutierten wir im De-Briefing die Erfahrung, dass genau das Missachten dieser Regel schon viel Schaden in Unternehmen angerichtet hat.
In Zeiten schneller Veränderungen müssen erkannte Fehler sofort korrigiert werden. Doch das lässt die gegenwärtige, formal-hierarchisch geprägte Führungskultur in den meisten Unternehmen nicht zu, aus Scham sowie Angst vor Schuldzuweisungen und Bestrafungen.
Als Trainer habe ich während der gesamten Übung im Cockpit nichts angefasst!
Meine Unterstützung kam von hinten, nur mit Worten, ohne Gestik und direkten Blickkontakt, wie es auch im Fall der Assistenz von der Bodenkontrolle aus wäre.
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