Herr Fengler, als Pilot haben Sie einen vermeintlichen Traumjob ausgeübt. Wie fühlt sich Fliegen für Sie an?
Fliegen bedeutet für mich in erster Linie die Befreiung von allen Gedanken. Denn wenn ich fliege, werde ich auf eine positive Weise gefordert. Dann kann ich nur ans Fliegen denken, selbst wenn ich nur im Simulator sitze. Und das empfinde ich als unheimlich befreiend. In meiner ganzen Karriere als Pilot bin ich nicht einmal gerädert aus einem Flugzeug gestiegen. Fliegen ist also immer so etwas wie Erholung für mich.
Warum haben die Menschen schon immer vom Fliegen geträumt?
Ich glaube, Vögel haben für die Menschen schon immer das Gefühl der Freiheit verkörpert – schnelle Ortswechsel, nicht gebunden sein an die Erde. Etwas von einer erhobenen Perspektive zu betrachten, ist ungewöhnlich für den Menschen und von daher sehr reizvoll. Darüber hinaus übt das Fliegen auf mich eine unheimliche technische Faszination aus, jedoch nicht im Sinne von höher, schneller und weiter. Sondern weil man sich dank des Flugzeugs in einem absolut lebensfeindlichen Raum aufhalten kann. Normalerweise würden Sie ja bei minus 60° Celsius und bei keinerlei atembarer Atmosphere sofort sterben. Aber im Flugzeug ist es warm, Sie können Kaffee trinken, lesen, Filme gucken oder schlafen – und so ganz nebenbei sind Sie mit fast 1000km/h unterwegs.
Wie sind Sie zur Fiegerei gekommen?
Mein Vater war ein begeisterter Pilot. Er besaß ein kleines Flugzeug für sechs Passagiere. Mit ihm bin ich sehr oft mitgeflogen und lernte schon mit sechs Jahren, zu steuern. Ich kniete dann auf dem Sitz, denn mit meinen Füßen kam ich eh noch nicht an die Pedale heran. Orientiert habe ich mich an der Autobahn, aber ich steuerte das Flugzeug ganz alleine. Mit 17 Jahren habe ich dann den Pilotenschein gemacht, allerdings gleich für Motorflugzeuge, denn ich wollte autark fliegen – die Segelfliegerei interessierte mich nicht. Diese Lizenz war zwar wesentlich teurer, aber da ich mit 17 neben der Schule schon im elterlichen Betrieb arbeitete und ein regelmäßiges Einkommen besaß, konnte ich mir das leisten.
An welchen Tag aus Ihrer Pilotenkarriere erinnern Sie sich besonders?
An meinen ersten Alleinflug. Da konnte ich endlich machen, was ich wollte und habe den Flieger erstmal auf den Rücken gedreht. Durch meinen Vater wusste ich, wie ich das anstellen musste. Es war ein Sommertag, viel Sonne, blauer Himmel, herrlich milde Luft. An jenem Tag spürte ich zum ersten Mal diesen Moment absoluter Ruhe. Alles verschwand um mich herum, alles, was mich mit der Erde verband, war unwichtig. Lediglich das bisschen Raum um mich herum spielte eine Rolle. Diese Leere zu spüren, hat mir unheimlich viel gegeben. Von Führungspersönlichkeiten habe ich schon öfter gehört, dass sie sich als Ausgleich zu ihrem Job in die völlige Einsamkeit begeben. Der eine geht in den Kanadischen Wald, der andere kauft sich eine Hütte in Schweden. Ich hingegen ging fliegen.
Neben Ihrer Karriere als Pilot waren Sie auch in Wirtschaftsunternehmen tätig – vornehmlich im Mittelstand und auch auf Interimsbasis. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Crew Ressource Management (CRM) aus der Luftfahrt auf die Businesswelt zu übertragen?
Das war eigentlich gar nicht meine Idee, sondern die eines renormierten Airline-Partners in Bremen. Dort hatte man bereits versucht, diese beiden Welten zusammen zu bringen. Es gab den einen Part, das CRM-Training und den zweiten Part, das Fliegen. Für mein Dafürhalten griffen diese Teile jedoch schlichtweg nicht genug ineinander. Ich empfand das Training mehr als ein Event als ein wirkliches, intensives Lehrstück. Mir fehlte der direkte Transfer. In der Konsequenz hieß das, es wurde jemand benötigt, der sich sowohl in der Wirtschaft auskannte als auch in der Luftfahrt – der Fliegerei. Und genau das konnte ich durch meine Erfahrung leisten. Mein berufliches Ziel war es immer gewesen, irgendwann etwas zu entwickeln, was komplett neu ist und was mein ureigenes Produkt wäre. Und es sollte etwas sein, dass dem Wohle der Menschen dienen und nachhaltig wirken würde. Und so habe ich jetzt meine eigentliche „Berufung“ gefunden.
Warum kann man das CRM-System „einfach“ von der Luft auf den Boden transferieren?
Weil sowohl in der Luft als auch auf dem Boden Menschen zusammenarbeiten sollen, die eine Aufgabe so gut wie möglich gemeinsam erfüllen müssen. Es geht beim CRM darum, dass Menschen gut und fehlerärmer miteinander arbeiten können.
Was ist aus Ihrer Sicht das Ziel von CRM?
Das Ziel von CRM ist eine bessere Führung, und damit verbunden eine geringere Fehlerquote im Unternehmen. Es geht nicht nur darum, dass der Einzelne weniger Fehler macht, sondern darum, dass ein System aus vielen Menschen entsteht, das durch intelligentes Zusammenwirkung weniger Fehler zulässt.
Wo liegen die Unterschiede zwischen einem Cockpit und einem Unternehmen, wenn es um die Umsetzung von CRM geht?
Das Cockpit ist ein extrem auf Sicherheit angelegter Raum. Das heißt, hier steht die Fehlerminimierung ganz im Zeichen des Überlebens, während sie in einem Unternehmen wirtschaftliche Verluste vermeiden soll. Wirtschaftlicher Verlust ist jedoch natürlich nicht gleichzusetzen mit dem Tod, denn der Topmanager, dessen Fehler ein Unternehmen extrem teuer zu stehen kommen kann, verliert schließlich nicht sein Leben. Der Pilot aber, der einen Fehler begangen hat, ist zumeist tot. Insofern haben wir es mit zwei unterschiedlichen Motivationsebenen zu tun.
Sie teilen in Ihrer Methodik CRM in fünf Elemente: Kommunikation, Führung, Entscheidungsfindung, Stress- und Fehlermanagement. Wie hängen diese Elemente zusammen?
Die Kommunikation ist die Mutter des Gelingens. Das heißt, von der Kommunikation hängen Führen, Entscheiden, Stress- und Fehlermanagement ab. Es sind alles untergeordnete Elemente, die nur durch „gute“ Kommunikation gelingen können. Und die Elemente Kommunikation, Führen, Entscheiden und Umgang mit Stress münden in ein erfolgreiches Fehlermanagement. Wenn diese vier Elemente also nicht „richtig“ gelebt werden, kann es keine optimale Fehlerminimierung geben.
Wir haben bereits kurz die Transferleistung erwähnt, die Sie bewältigen mussten, um CRM für die Wirtschaft nutzbar zu machen. Warum kann ein Unternehmer respektive eine Unternehmerin etwas, was er oder sie in einer völlig anderen Umgebung gelernt haben – nämlich bei Ihnen im Simulator –, später im gewohnten Unternehmensumfeld zum Erfolg führen? Warum gelingt der Transfer?
Als Trainer ist es meine Aufgabe, die Aktion, die im Flugsimulator herrscht, immer wieder auf das Berufsleben des Klienten zu projizieren. Wenn jemand zwei Dinge gleichzeitig machen muss – etwa den Kurs des Flugzeugs verändern und gleichzeitig die Flughöhe nicht verändern –, und wenn das dann nicht klappt, dann konfrontiere ich ihn mit einer ähnlichen, jedoch typischen Situation aus dem Unternehmensalltag, wie etwa der Tatsache, dass Multitasking häufig nicht funktioniert, weil man beispielsweise nicht gleichzeitig telefonieren und eine Mail verfassen kann. Das ist zwar zugegebenermaßen eine sehr einfache Transferleistung, aber es gibt natürlich Abstufungen in der Komplexität der Übungen. Der Transfer muss jedoch zwingend unmittelbar am Ort des Geschehens passieren und darf nicht erst später am Tisch erfolgen. Denn nur am Ort des Geschehens ist der Kunde mit seinen Emotionen in Kontakt. Das sind der Vorteil und die Stärke meines Trainings – die Kombination aus direktem, scheinbar realem Erleben und der entsprechenden emotionalen Verknüpfung.
Und wieso gelingt es, dieses Wissen auch nachhaltig mit nach Hause nehmen zu können?
Zunächst einmal sind die Voraussetzungen für alle Seminarteilnehmer gleich: Keiner kann fliegen, niemand ist im Vorteil und kann sich daher durch Fachkompetenz einen Vorsprung verschaffen. Alle Teilnehmer haben also extreme Schwierigkeiten, ihre Aufgaben im Simulator zu bewältigen. Wenn sie jedoch das CRM-Regelwerk zur Hilfe nehmen, erfahren sie in der Regel sehr schnell, dass sie zu außergewöhnlichen Teamleistungen fähig sind und, je nach Trainingsschwerpunkt, auch herausragende Einzelleistungen möglich sind. Ein solches Erfolgserlebnis wirkt sehr nachhaltig, da es den Menschen im emotionalen Bereich berührt. Führen diese neuen Regeln zu einem solchen Erfolg, werden beide Elemente miteinander verknüpft, denn nur starke Emotionen sichern eine feste Verankerung des Erlebten im Gedächtnis. So kann auch ein einmaliges „neues“ Erleben nachhaltig in den gewohnten Alltag integriert werden.
Sie haben von einer „Berufung“ gesprochen, die Sie persönlich nun in den Trainings finden. Dennoch: Vermissen Sie nicht auch ein wenig die reale Fliegerei?
Nein, nicht wirklich. Ich bin so viel in meinem Leben geflogen, dass ich heute sagen kann: Jetzt reicht es. Ich hatte immer Abschnitte in meinem Leben, die irgendwann zu Ende gingen, was dann auch in Ordnung für mich war. Ich bin leidenschaftlich zur See gefahren und nun saß ich 30 Jahre leidenschaftlich im Cockpit. Meine Ruhe finde ich heute im Wald und wenn ich segeln gehe. Ansonsten erfüllt mich meine Arbeit im Simulator ungemein. Ich bin mit ihr sehr zufrieden und ich freue mich jedes Mal, wenn ich meine Faszination und meine Leidenschaft für das Fliegen auch heute noch ein stückweit weitergeben darf.
Wenn Sie mal nicht im Simulator sitzen: Woran könnten andere Menschen noch heute erkennen, dass Sie mal aktiver Pilot waren?
Vermutlich daran, dass ich auch am Boden gerne Tomatensaft trinke – und zwar jeden Morgen.
Das Interview führte die Autorin Julia Kottkamp aus Hamburg
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