Donnerstag, 15. März 2018

Schuld? ... kann ich gut!

Das Crew-Resource-Management (CRM) ist für ein einziges Ziel entwickelt worden:
Die fatale Fehlerquote in der Verkehrsluftfahrt erheblich zu reduzieren.
Es war überlebenswichtig für die meisten Airlines, denn trotz modernster Technik und erstklassiger Ausbildung der Crews nahm bis in die frühen 1980er Jahre die Unfallrate im Luftverkehr immer weiter zu.

Erst mit der Einführung des CRM in Cockpit und Kabine entwickelte sich seit Anfang der 1990er Jahre die Verkehrsluftfahrt zum sichersten und fehlerärmsten Arbeitsplatz weltweit.

In seiner 7. Entwicklungsstufe sind mittlerweile auch Luftfahrttechnik, Produktion, Abfertigung und Luftverkehrskontrolle vom CRM geprägt.



Was sind wesentliche Erkenntnisse nach 3 Jahrzehnten CRM-Erfahrung?


1. Fehlbarkeit


Der einzelne Mensch macht Fehler, egal wie gut er ausgebildet ist

2. Angstfreiheit


Fehlervermeidung gelingt nur in einer Umgebung der angstfreien Kommunikation und Führung in einer Atmosphäre “psychologischer Sicherheit”

3. Fehlermanagement

Ein offener, bestrafungsfreier und konstruktiver Umgang mit Fehlern kann nur gelingen, wenn 2. erfüllt ist

4. Regeln


Die Module des CRM (Kommunikation, Führen, Entscheiden, Stress und Fehlermanagement) brauchen ein klares Regelwerk, das an alle betroffenen Teammitglieder (Mitarbeiter) verständlich vermittelt wird. Es schließt alle Hierarchie-Ebenen ein.

5. klar definierte Verhaltensmerkmale

Vor allem mit der Weiterentwicklung des Crew-Resource-Managements ist dieser Punkt immer wichtiger geworden. Teamführer und Teammitglieder brauchen zum Beispiel in digitalisierten Umgebungen neue Verfahrens- und Verhaltensmerkmale. Geänderte Umgebungsbedingungen erfordern stets Anpassungen. Eine wesentliche und gefestigte Erkenntnis der Safety-Audits im realen Flugbetrieb.

Nun können Sie das alles prima aufschreiben, jedem erklären, die Organisationsstruktur anpassen und dann glauben, die Veränderung gelingt.
Ein häufiger und gravierender Irrtum!
Sie haben den Menschen mit seinen Erfahrungen und gefestigten Verhaltensmustern außer Acht gelassen.

Ich nenne Ihnen ein prägnantes Beispiel aus meiner Praxis als Führungskraft und Berater:

Ein größeres mittelständisches Unternehmen hatte schon einige Anläufe im Rahmen von Veränderungen der Unternehmenskultur hinter sich.
Die Führungs- und Unternehmensleitsätze lasen sich recht gut, wenn auch sehr allgemein formuliert.
Trotzdem war es nicht gelungen, die Effizienz im Unternehmen zu verbessern und die Fehlerquoten zu senken. Die Krankenstände bewegten sich deutlich über 10% und die steigende Fluktuation der Mitarbeiter behinderte Wachstum und Innovationen.
Der Mehrheitsgesellschafter, ein Konzern, stand kurz vor der Entscheidung, das Unternehmen zu verkaufen oder zu schließen.
Beauftragt wurde ich von einem der Geschäftsführer, ebenfalls Gesellschafter, nach einer letzten Option zu suchen, das Unternehmen in zukunftssichere Fahrwasser zu bringen.

„Es ist unser letzter Versuch, das Ruder ´rum zu reißen“, waren seine Worte.
Nach meiner Ankunft und Vorstellung sollte sofort eine Konzeptbesprechung auf Geschäftsleitungs-Ebene stattfinden.
Ich bat darum, das hintanzustellen.
Gerne wollte ich mir ein Bild von der Arbeitsweise der Teams und Führungskräfte machen. Es war eine Mannschaft von durchschnittlich sehr hohem Bildungsgrad.

Nach wenigen Tagen bat ich die beiden Geschäftsführer um eine Unterredung unter 6 Augen außerhalb des Unternehmens.
Ich fragte, ob sie einen guten Draht zu ihren Mitarbeitern hätten. Man bejahte das klar.
„Wir sind ein super Team, dass gemeinsam durch dick und dünn geht“.
Im gesamten Unternehmen wurde sich geduzt.

Ich teilte Ihnen meine Beobachtungen mit. Der Umgang untereinander ist geprägt von Angst und vielfach gegenseitiger Schuldzuweisung, so meine Eindrücke aus Teamsitzungen, Einzelgesprächen und Dialogen zwischen Mitarbeitern.
 Schuld war ein großes Thema im Unternehmen. Immer war irgendwer an irgendwas schuld.

„Das ist doch normal“ so der Tenor der beiden Geschäftsführer. „Man muss den Fehlern doch auf den Grund gehen. Wenn wir den Verursacher gefunden haben, passiert ihm meistens nichts. Das wissen unsere Leute doch und wir sagen immer, dass wir Fehler offen zugeben müssen.“

Schuldsuche und Schuldgefühle sind Hauptgründe für das Scheitern von Veränderungsanläufen.
Die Suche nach dem Schuldigen verhindert jeden effektiven Lernprozess.
Sie erzeugt Angst und behindert die Ursachenforschung.
Sie macht Prozesse langsam bis hin zum Stillstand. Sie tötet Innovationen und offenes Denken.

Wir sind von Kindesbeinen an darauf getrimmt, Schuld zu empfinden, zu verteilen, abzuwehren und zu vertuschen.

Das fängt unter Geschwistern an, setzt sich in der Einzelkämpferausbildung an den Schulen und Universitäten fort und beherrscht unser gesamtes Rechtsverständnis.
An Schuld wird häufig die Bestrafung gekoppelt, ob vor Gericht, in der Familie, in der Ausbildung oder im Arbeitsleben.

Und nun kommt eine Geschäftsführung und sagt, man solle seine Fehler zugeben, es passiere einem ja nichts.

Jahrzehnte lange Lebenserfahrung ist nicht mehr gültig, weil die Geschäftsführung es sagt.

Glauben Sie das wirklich?

Schweigen am Tisch ...

„Und nun, wie kommen wir weiter?“ die berechtigte Frage.

Das ist sehr einfach, braucht aber etwas Zeit, sage ich.

Wir machen uns zu Nutze, was Menschen nachhaltig beeinflusst.

Menschen werden durch Vorbilder geprägt, in jeder Phase des Lebens.
Das funktioniert jedoch in Hierarchien nur von oben nach unten.

„Wie oft haben Sie schon Ihre Fehler eingestanden“, meine nächste Frage an die beiden.

„Das machen wir untereinander häufig“, so die einstimmige und frohe Antwort.
„Das wissen aber die Menschen nicht, von denen sie verlangen, ihre Fehler einzugestehen“, mein Einwand.
Am Tisch kam erst ein „Hmm...“ dann die Bemerkung, das ginge die Mitarbeiter ja auch nichts an.
„Doch, das geht sie etwas an“, entgegne ich. „Es ist ja ihr Arbeitsplatz und die Fehler der Unternehmensführung wirken sich auf die Mitarbeiter aus.
Leben Sie den offenen Umgang mit Ihren Fehlern im Unternehmen vor.
Sie sind die oberste Vorbild-Instanz.



Ihnen wird man folgen, wenn auch zeitversetzt und anfangs aus sicherer Distanz.

Leben Sie vor, dass Sie jetzt gar nicht an der Schuldsuche interessiert sind und bitten Sie ihre Crew um Hilfe bei der Suche nach Lösungen für die entstandenen Probleme.

Leben Sie den Satz: Menschen machen Fehler, auch ich. Das ist nicht zu ändern!

Damit aus Ihren einzelnen Fehlern keine fatalen Fehlerketten werden, brauchen sie die Hilfe ihrer Mitarbeiter. Leben sie das!
Suchen Sie fortan nach Lösungen mit Ihrem Team zusammen, und unterbrechen Sie aktiv jeden Versuch, wieder den Schuldigen zu ermitteln.
Sie werden sehen, die Frage nach der Schuld stellt sich bald nicht mehr. Sie liegt dann sowieso offen auf dem Tisch, völlig unspektakulär und selbstverständlich.
Menschen, die Fehler machen, wissen meistens, dass sie einen Fehler gemacht haben. Das muss man ihnen nicht noch sagen. Sie leiden sowieso darunter, weil sie ihre Fehler ja nicht mit Absicht machen“.

In meinen operativen Führungsfunktionen, schon als Offizier bei der Bundesmarine in den 1980er-Jahren, habe ich oft die Schuld selbst übernommen, um die Schuldsuche zu beenden.

Meine Einheit wurde immer besser und besser. Sie stand erfolgreicher da als die anderen.
Wir hatten kaum Kranke, kaum Beschwerden, meistens gute Laune und waren sehr effizient.

Verantwortung wurde gerne übernommen.
Ich hatte dadurch deutlich weniger operative Arbeit als meine Kollegen und konnte mich so auf meine wichtigste Aufgabe konzentrieren: Das Führen meiner Mannschaft.

Nehmen Sie den Mitarbeitern die Angst vor der Schuld durch Ihr eigenes, offenes Verhalten.

Zeigen Sie Wohlwollen aktiv, nicht passiv.

„Wenn ich nichts sage ist alles ok. Das wissen meine Leute doch“.
Irrtum, das wissen sie eben nicht. Nicht-Kommunizieren schafft Unsicherheit. Unsicherheit erzeugt Angst.
Angst verhindert die offene Fehleranalyse – und macht auf die Dauer krank oder führt zur inneren Kündigung!

Genau das haben heute die Flugkapitäne als Führungskräfte den meisten Chefs in Unternehmen, Kliniken und Organisationen voraus. Sie leben die angstfreie Kommunikation und den offenen Umgang mit ihrer eignen Unzulänglichkeit vor.
Sie werden schon als Flugschüler darauf trainiert, offen ihre eigenen und beobachteten Fehler zu kommunizieren.
Regelmäßig ermuntern sie ihre Crew beim “Briefing” vor dem Flug, alle Bedenken und Sorgen sofort und direkt zu kommunizieren, auch wenn sie den Kapitän selbst betreffen.

Um nicht wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen, trainieren Flugzeugcrews heute zwei bis sieben Mal jährlich in aufwendigen, sehr realitätsnahen Simulatoren.
Ein großer Bestandteil der Trainings ist der offene Umgang mit den eigenen Fehlern im Team.

Das CRM bietet ein nachvollziehbares, lehrbares Regelwerk. Es wird mittlerweile von den Crewmitgliedern, Technikern, Fluglotsen usw. nicht nur akzeptiert, sondern auch freudig und überzeugt gelebt.

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