Donnerstag, 15. August 2019

Resilienz im Cockpit – ein Beispiel

Manchmal ist der Zufall schon komisch. Seit zwei Wochen beschäftigen wir uns verstärkt mit dem Thema Resilienz im Crew-Resource-Management (CRM). In der dritten Ausgabe des Standardwerkes zum CRM gehen die Autoren präzise drauf ein.

Und mir passierte gestern im Cockpit ein Musterbeispiel dazu (siehe Video)


Anders als der mir in Unternehmen häufig begegnende flache Ansatz, nur die Individual-Resilienz zu betrachten und isoliert zu fördern, geht die Luftfahrt sehr umfassend auf das Thema ein.

Unterschieden werden dabei grundsätzlich zwei Säulen der Resilienz, die zunächst unabhängig voneinander zu betrachten sind.

Säule 1 besteht aus:

a) strategischer Resilienz
b) taktischer Resilienz

Säule 2 besteht aus:

a) Organisations-Resilienz
b) Team-Resilienz
c) Individual-Resilienz

Säule 1 bildet die Bedingungen, Umgebungsfaktoren und Werkzeuge ab, die Säule 2 den jeweiligen Wirkungskreis.

Strategische Resilienz besteht aus Faktoren, die ein resilientes System braucht, damit die angewandten Werkzeuge (taktische Resilienz) darin auch nachhaltig wirken.

In meinem Fall waren das:

a) ich war ausgeschlafen, gesund sowie voll aufnahme- und reaktionsbereit.
b) bin im Cockpit immer auf den plötzlich eintretenden Ausnahme- oder Notfall vorbereitet
c) für b) gut und stetig trainiert
d) bin gut mit geeigneten Werkzeugen und Verfahren vertraut um den Ausnahmezustand in sicherer Zone in einen stabilen Zustand zurückzuführen
d) bin mir bewusst, dass ich Fehler machen kann und nehme das unvoreingenommen an

Die taktischen Werkzeuge in meiner Situation waren auf das Individuum fokussiert, da ich alleine, also ohne Team, unterwegs war (Single Pilot).

Unter anderem bestand mein "Werkzeugkasten" aus:

a) sichere und rechtzeitig angewandte Stressvermeidungstechnik (portionieren, sequenzieren)
b) Entscheidungsfindung mit FOR-DEC (Fakten die zum Fehlverfahren führten feststellen, Alle Optionen die möglich sind sammeln, Risikoabwägung dazu, Entscheidung, steter Check ob Ziel einer sicheren Landung erreichbar). Dazu reichen, durch Übung, in diesem Fall Sekunden aus
c) Anwenden der „Fly the Aircraft first“-Regel, um „vor der Maschine“ zu bleiben und den Flugzustand nicht weiter zu destabilisieren.

Im Team, im Cockpit zu zweit, wären auf der strategischen Seite noch dazu gekommen:

e) psychologisch sichere Atmosphäre (jeder darf alles sagen ohne Angst vor Gesichtsverlust, Bestrafung, Schuld etc.)
f) gutes und sicheres Teamverhalten durch stetes Training

Auf der taktischen Seite wären im Team unter anderem dazu gekommen:

d) klare, direkte, prägnante und rechtzeitige Kommunikation des erkannten Problems inklusive FOR-DEC
e) Rollenklarheit (who fly the aircraft, Verfahren)

Auf der Organisations-Seite (in diesem Fall der Airline und Ausbildung) kann man die Differenzierung nach strategischer und taktischer Resilienz nach dem gleichen Muster bestimmen.

Mit diesem Background erkennen Sie im Video, wie ich die Theorie in der Praxis umsetze und dadurch einen hohen Grad an Resilienz sicherstelle.
Hoher Grad heißt, den Ausnahmezustand in kürzester Zeit sicher in den Normalzustand zurückzuführen.


Eine Anmerkung dazu: ich habe das wirklich nicht geplant, ist mir halt vor laufender Kamera passiert.


Im realen Flugbetrieb würde ich Vorfälle dieser Art in das ASRS (Aviation Safety Reporting System) der Airline melden, ganz im Sinne des Thread and Error Managements (früher Fehlermanagement). Es ist essentieller Bestandteil des Crew-Resource-Managements und entscheidend für seinen dauerhaften Erfolg.

Lernen aus den Fehlern anderer ist in der kommerziellen Luftfahrt weltweit selbstverständlich geworden, ohne Scham, Angst vor Bestrafungen oder Gesichtsverlust.

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