Freitag, 25. Januar 2019

Alles lief nach Plan – und der Plan war falsch!

Der Wert eines guten Fehlermanagements entsteht nicht nur durch das Melden, Analysieren und Vermeiden von neuen Fehlern gleicher Art.
Auch durch das offene und unvoreingenommene Austauschen von erfolgreichen Verhaltensweisen außerhalb vorgeschriebener Verfahren, wird die Gefahr von möglichen Fehlerketten bei anderen vermieden. Verfahren werden verbessert, Checklisten korrigiert sowie Ausbildung und Trainings können schneller weiterentwickelt werden.

In der Luftfahrt ist das ASRS (Aviation Safety Reporting System) ein essentieller Bestandteil der exzellenten Sicherheits- und Fehlerkultur.
Mit Hilfe dieses immer weiter entwickelten Systems profitieren Crews weltweit von Erfahrungen einzelner Besatzungen, die Handlungen ohne fatale Konsequenzen begangen oder großen Schaden durch Übergehen der Verfahrensregeln vermieden haben.
Jeden Tag melden Crews bei sich selbst bemerktes Fehlverhalten oder außergewöhnliche Ereignisse, die nicht mit den festgelegten Verfahren in den Griff zu bekommen waren.

Der daraus entstehende Wert zur Steigerung und Erhaltung der Flugsicherheit und Effizienz ist enorm.
Dieses System bewahrt viele Menschen vor dem Tod durch unnötig doppelt begangene Fehler und nicht kommunizierte Verfahrensschwächen. Und es bewahrt die Airlines weltweit vor großen, wirtschaftlichen Schäden durch sich ständig wiederholende Fehler.

Die Voraussetzung, dass dieses System in der Luftfahrt so gut funktioniert, ist die psychologische Sicherheit im Team. Keiner hat Angst vor Bestrafung und Schuldzuweisung.
Es geht um das gemeinsame besser werden und Lernen aus den Erfahrungen und Fehlern anderer.
Erst mit dem Crew-Resource-Management (CRM) hat die Luftfahrt die dafür nötige Führungs- und Arbeitskultur geschaffen.



Im Folgenden berichte ich Ihnen zwei Beispiele aus dem aktuellen, öffentlichen NASA-Safety Report im Januar 2019.
Die NASA koordiniert das ASRS aller US-Airlines für die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA und sorgt für den internationalen Austausch dieser Reports, seiner Erkenntnisse und Konsequenzen.
Ähnliches gibt es in Europa und Asien. Auch Russland und viele afrikanische Staaten haben begonnen sich diesem System anzuschließen.

Hier die beiden Beispiele:


Fall 1

Ein A320-Kapitän positionierte ein Flugzeug auf dem vereisten Vorfeld neu. Die Vorschriften und Regeln wurden befolgt und mit äußerster Sorgfalt durchgeführt, aber die herrschenden Bedingungen triumphierten schließlich über alle Verfahren und bereits getroffenen Vorsichtsmaßnahmen.

Operations beauftragte die Flugbesatzung, das Flugzeug an die Nordrampe zu versetzen, da aufgrund der witterungsbedingten, außergewöhnlichen Betriebsabläufe keine Gates mehr zur Verfügung standen. Ich (Kapitän) rief den Chefpiloten an, um zu berichten, was wir vorhaben. Das ist Bestandteil des SOP (Standard Operational Procedure).
Alle Sicherheitsvorkehrungen wurden von uns getroffen. Mir wurde von der Betriebsleitung mitgeteilt, dass auf unserem jetzigen Platz andere Flugzeuge geparkt werden sollten.
Wir haben die Freigabe der Bodenkontrolle erhalten und sind langsam und vorsichtig gerollt. Einweiser führten uns und ich rollte sehr langsam. Der leitende Einweiser signalisierte mir, mit zwei beleuchteten Einweiserstäben, geradeaus zu rollen, und die beiden Flächeneinweiser, ebenfalls mit beleuchteten Stäben, positionierten mich exakt.
Ich hielt das Flugzeug auf Signal des führenden Einweisers hin an, und wollte die Parkbremse setzen, als das Flugzeug plötzlich anfing, sich von selbst vorwärts zu bewegen. Vor uns lag eine Flughafenumzäunung aus Metalldraht und einige andere große Objekte auf der anderen Seite des Zauns. Als das gebremste Flugzeug schneller zu rutschen begann, hatte ich kein anderes Mittel als den Umkehrschub zu betätigen. Dadurch wurde das Flugzeug gestoppt. Aber es rutschte seitwärts nach links weg, da es keine Traktion auf der Rampe hatte. Das Triebwerk Nummer 2 streifte einen dort abgestellten Stromerzeuger leicht.

[Ergebnis nach Untersuchung des Zwischenfalls:
durch den gegen das Verfahren verstoßenden Gebrauch der Schubumkehr in dieser Situation verhinderte der Kapitän einen größeren Schaden]

Fall 2

Während mäßiger Turbulenzen begann der Kapitän einer B777, mit Genehmigung der Flugsicherung, zu steigen um in ruhigere Luftschichten zu gelangen. Die anschließenden Minuten forderten schlagartig und völlig unerwartet das ganze Können der Cockpitcrew.

Mehrere Flugzeuge unterhalb unserer Höhe hatten schwere Turbulenzen gemeldet. Wir waren bei FL370 (Flugfläche 370 = 37000 Fuß) in moderaten Turbulenzen. Wir begannen einen Steigflug auf FL390 (13.000m), aber bei FL378 hatten wir plötzlich die Kontrolle über die Fluggeschwindigkeit verloren. Es wurden zum Glück keine Grenzwerte für die zugelassene Fluggeschwindigkeit überschritten, weder nach unten noch nach oben.
Wir leiteten sofort manuell (Autopilot aus, automatische Schubkontrolle aus) den Sinkflug zurück auf FL370 (12.300m) ein und informierten die Flugsicherung. Als wir versuchten, den Sinkflug einzuleiten, stellten wir fest, dass wir keine Kontrolle über unsere Höhe hatten. Trotz Leistungshebel im Leerlauf und ausgefahrenen Luftbremsen hielt das Flugzeug die Höhe und wurde schneller. Wir surften einfach auf einer extremen Luftströmung, die verhinderte, dass wir sinken konnten.
Ich (Kapitän) musste äußerst sensibel mit der Hand steuern um einen gefährlichen Zustand zu verhindern.
Nach etwa einer Minute begann das Flugzeug ebenso plötzlich und heftig den Sinkflug, der uns schnell zurück auf FL370 brachte.
Es wurden danach keine weiteren heftigen Turbulenzen festgestellt.
Wir hatten etwa eine Minute lang keine Kontrolle über Fluggeschwindigkeit oder Höhe. Es gab keine WSI FPG (Weather Services International Flight Planning Guidance) für Turbulenzen auf unserer Flugstrecke in diesem Gebiet.
Wenn ich mich recht erinnere, erschien mir die Außentemperatur in dieser Höhe und Jahreszeit erheblich wärmer als normal.

[Ergebnis nach Untersuchung des Zwischenfalls:
durch das verfahrenswidrige, sofortige Abschalten des Autopiloten und der automatischen Schubkontrolle in dieser Höhe verhinderten die Piloten einen extrem gefährlichen Flugzustand durch zu hohe bzw. zu niedrige Geschwindigkeiten.]

In beiden Fällen verfügten die Kapitäne über sehr viel Erfahrung und eine exzellente Fach- und Crew-Resource-Management Ausbildung sowie umfangreiches Training.

Auch die Hudson-Landung von Kapitän Chesley Sullenberger im Jahr 2009 (Das Wunder vom Hudson) gelang nur, weil Sullenberger nicht nach Checkliste gehandelt hat. Der wesentliche Handgriff war, sofort nach dem Auftreten der doppelten Triebwerksstörung in 2.850 Fuß (950m) Höhe, die letztlich zum Ausfall beider Turbinen geführt hat, die Hilfsturbine (APU) einzuschalten um die Stromversorgung und elektrische Hydraulikpumpe (PTU) in Betrieb zu halten.
Dieser Punkt (APU einschalten) kam in der Checkliste erst an 15. Stelle!
Ein nahezu zeitgleicher, doppelter Triebwerkausfall unter 10.000 Fuß war bis dahin nicht in den Verfahren vorgesehen. Er ist auch bis dahin nie so vorgekommen.
Die Verfahren und Checklisten für die zweimotorigen Airbus-Flugzeuge wurden nach diesem Zwischenfall umgehend überarbeitet.

Erst eine genaue Analyse und die anschließende Veröffentlichung aller Ergebnisse von Störfällen kann im Crew-Resource-Management zur Verbesserung der weltweiten Sicherheitsstandards, Verfahren und Effizienz führen.
Denn, was ich nicht erfahre, kann ich auch nicht verbessern!

Donnerstag, 17. Januar 2019

Über die Macht – und ihre (oft fatale) Praxis

Ich beschäftige mich beruflich sehr intensiv mit der Bedeutung psychologischer Sicherheit (mein großer Dank an Amy C. Edmondson, die den Begriff definierte und zu einer großen Bedeutung verholfen hat).

Psychologische Sicherheit ist der Kern für das Gelingen im Führungs- und Arbeitsmodell
Crew-Resource-Management.
Sie setzt voraus, dass es im Team (Beruf, Gesellschaft, Partnerschaft) ungefährlich ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.
Risiken sind konkret: ausgelacht werden, Gesichtsverlust, unwichtig zu erscheinen, Schwäche zeigen, störend zu sein etc.)

Der große Gegenspieler der psychologischen Sicherheit ist die Kränkung.
Sie ist die Giftspritze für menschliche Beziehungen und damit auch für Teams.

Letztlich gelingt psychologische Sicherheit nur in einer sehr kränkungsarmen Atmosphäre.

Die Formen, und enormen (fatalen) Konsequenzen von Kränkung in allen zwischenmenschlichen Beziehungen (Arbeit wie Privat) werden von Prof. Reinhard Haller im folgenden Vortrag sehr gut erläutert.

Ein exzellenter Vortrag von Prof. Haller ( https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Haller ) über die Macht der Kränkung.
Sein 2015 dazu erschienenes Buch „Die Macht der Kränkung“ ist ein Bestseller, nicht nur in Österreich.

Kränkung fällt in unserer Arbeitswelt immer weniger direkt auf. Indirekt führt sie jedoch zu einem quantenhaften Anstieg von oft kränkungsbedingten, multisymptomatischen Krankheitsbildern, wie z.B. Burnout.

Auch innere Kündigungen werden maßgeblich durch Kränkungen ausgelöst.

In einer in der FAZ im August 2018 erwähnten Studie haben in Deutschland 71% der Mitarbeiter innerlich gekündigt. Sie machen nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Der bezifferte wirtschaftliche Schaden wird auf mindestens 118 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Warum ist das fast geräuschlos möglich?

Die Unternehmen haben oft eine hervorragend kaschierende „Wertschätzungs-Fassade“ zur Vernebelung der tatsächlichen Verhältnisse errichtet.
Sie bedienen sich dabei nicht selten Beratern, die in Wahrheit nichts im Unternehmen verändern. Das will man auch gar nicht. Die Veränderung auf Papier, oder moderner in PowerPoint, reicht dafür völlig aus.

Ich erlebe immer wieder, dass die Fassade der Wertschätzung benutzt wird um der "neuen Führungskultur" formell Genüge zu tun. Es entstehen toll klingende Hochglanz-Broschüren über die Werte im Unternehmen.

Hinter der Fassade wird jedoch, in Wort und Tat, nahezu weiter ungebremst "entwertet" – und zwar durch genau die von Prof. Haller beschriebenen Formen der Kränkung. Nur Art und Worte dafür sind netter und geschickter gewählt als früher.



Dadurch lässt sich die wahre Unternehmenskultur und ihre Missstände noch schwerer ausmachen als früher – den Mitarbeitern und dem Unternehmen wurde ein Bärendienst erwiesen.

Ich kann Ihnen dafür Beispiele aus bedeutenden Unternehmen nennen:

So analysiert Amy C. Edmondson in ihrem neuesten Buch „The Fearless Organisation“ (Link zu Amazon) den VW-Diesel-Skandal als eine Folge von kaum vorstellbarer Kränkungen und Herrschsucht in einem steil-hierarchischen Macht-Ohnmacht Verhältnis. Sie belegt das an verifizierten, für einen Außenstehenden kaum zu glaubenden Gesprächsprotokollen der Beteiligten.

Auf der Machtseite stehen Herr Winterkorn und seine nahen Erfüllungsgehilfen, auf der Ohnmachtseite viele leitende Ingenieure und Produktdesigner im mittleren Management.

Ein hoher VW-Manager sagte vor vielen Jahren schon in aller Öffentlichkeit zu mir: wir sind ein zaristisch geführter Betrieb.

Hierarchie bedeutet per Definition immer eine Macht-Ohnmacht-Beziehung. Wird sie auf der Machtseite durch die Kränkung wesentlich beeinflusst, entstehen nicht nur menschliche Schicksale und Tragödien – es bildet sich auch das Potential für einen gewaltigen wirtschaftlichen Schaden, wie es u.a. die Beispiele Volkswagen, Deutsche Bank, Wells Fargo oder NOKIA zeigen.

All diese Unternehmen verfügten seit vielen Jahren über hervorragend designte Leitlinien einer modernen Führungskultur und personell wie finanziell gut ausgestatteten HR-Abteilungen.

Trotzdem ist das fatale Machtwerkzeug der Kränkung ohne Probleme, teils unter den Augen von Kollegen, und sogar vor Kunden (auf Messen), möglich. In diesen Unternehmen dominiert die durch Kränkungen initiierte Angstherrschaft, teils bis heute.

Betroffen ist zunächst das höhere und mittlere Management, nicht so sehr der Mitarbeiter am unteren Ende der „Befehlskette“.
Er ist heute nicht nur zu gut geschützt, durch Arbeitsgesetze, Betriebsräte etc., er ist als „Opfer“ auch uninteressant. Denn, er kann nicht als direkter Erfüllungsgehilfe zur Durchsetzung von Verblendung, Größenwahn oder Herrschsucht dienen. Er ist auch nicht erpressbar genug.

Am unteren Ende der Hierarchie kommt das Desaster erst an, wenn großer wirtschaftlicher Schaden das Unternehmen trifft. Dann gehen Jobs auf allen Ebenen schnell zu tausenden verloren.

Manager, die diese Angstherrschaft verbreiten, sind meist selbst in einer paramilitärisch/monarchistischen Unternehmenskultur groß geworden. Ihre Ziehväter haben sie nicht selten entsprechend behandelt und leiden lassen. Amy Edmondson erklärt dazu das Verhältnis zwischen Piech und Winterkorn bei Volkswagen.

Diese Manager „erziehen“ dann wieder die nächste Generation der Angstherrscher. Darin sehe ich auch den wesentlichen Grund, warum Unternehmen wie die Deutsche Bank und Volkswagen nicht mal im Ansatz aus der Führungsmisere rauskommen. Bei anderen brodelt es bereits unter der Decke des „noch erfolgreich seins“.

Die Neurowissenschaft ist sich nicht einig, ob Menschen mit solchen Prägungen sich überhaupt noch nachhaltig und aus eigener Überzeugung ändern können. Einfach ist es jedoch auf keinen Fall.

Auch der Weg älterer Flugkapitäne vom „Helden der Lüfte“ zum anerkannten Teamführer war lang – und ist auch nicht überall gelungen. Erst die Zeit erledigte das Problem dann endgültig.

Möglich war das nur durch die konsequente Implementierung des Crew-Resource-Managements in die gesamte operative Luftfahrt, vom Recruiting über die Erstausbildung bis zu den laufenden, häufigen Checks und Fortbildungen der Crews.

So fallen heute bei den Auswahlverfahren der führenden Luftfahrtgesellschaften bis zu 80% der Kandidaten wegen persönlicher, psychologisch bedingter Nichteignung durch und weniger aus medizinischen oder fachlichen Gründen.

Diese Instrumente und ein vergleichbares Modell gibt es in Industrie und Kliniken nicht mal im Ansatz.

Hier werden Führungskräfte nach wie vor hauptsächlich fachorientiert ausgewählt. Die persönlich-psychologische Eignung spielt in der Regel keine Rolle.

Kann man daran wirklich etwas ändern?

Ich meine ja!

Die nötige Veränderung sollte in kleinen Schritten erfolgen, bestehend aus Überzeugungsarbeit
ganz oben und das Weglassen jeglicher Drohungen oder Angstverbreitung. Das Wissen darum sollte gleichzeitig in der Praxis trainiert werden.

Weiter ist die Beraterindustrie gefordert. Sie versagt bei diesem Thema auf breiter Linie. Es fehlen Berater und Interims-Manager mit den richtigen Führungsqualitäten und Erfahrung, die operativ an der Umsetzung von Veränderungen beteiligt werden können, und dafür auch die Verantwortung übernehmen und gemessen werden können. Da nützen alleine weder ein brillanter Hochschulabschluss noch forsches Auftreten.

Das Recruiting und die Auswahl von Führungskräften sind in ihrer gegenwärtigen Form weitgehend ungeeignet. Ferner fehlen in den allermeisten Unternehmen bewährte, praxisorientierte Ausbildungs- und Trainingsformen. Der Stellenwert dafür ist bei weitem nicht hoch genug angesetzt.

Die ersten Unternehmen fangen an umzudenken. Sie müssen es auch, wenn sie im globalen und schnellen Wettbewerb weiter eine Chance haben wollen. Doch, denken alleine reicht nicht, vor allem die C-Ebene sollte dazu vorbildhaft handeln.
Das ist ihre größte Chance in Zukunft noch mitzuspielen.

Donnerstag, 10. Januar 2019

Wachsender Aktionismus – häufig der Anfang vom Ende

In unserem
 Workshop „Berufsbild Pilot“, den wir zusammen mit der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung für an der Luftfahrt interessierte Abiturienten veranstalteten, stellten mir die Schüler folgende Frage:



Warum sehen die Piloten im Cockpit immer so entspannt und gelassen aus?


Diese Frage behandelt zugleich eine Kernaussage im Crew-Resource-Management (CRM).
Meine Antwort darauf ist kurz aber in der Praxis nicht so einfach umzusetzen wie es scheint:

Sie vermeiden jede Art von Aktionismus, verbal wie operativ!


Beide Formen von Aktionismus (viele nennen den verbalen Aktionismus auch Geschwätzigkeit) waren, gepaart mit hierarchisch formellen Verhaltensmustern die Hauptursache für in der Luftfahrt steigende Unfallraten bis zur Einführung des CRM in den 1980er Jahren.

Aktionismus ist eine der Hauptursachen für Führungs- und Teamversagen.




Anders war es nicht zu erklären, dass drei hocherfahrene Piloten einen Jet leer flogen und mitten in der Nacht in einem Vorortwäldchen einer amerikanischen Großstadt notlanden mussten, weil sie sich zu dritt mit Hingabe dem Austausch eines 10 Cent Lämpchen widmeten, das zu dieser Zeit keine wichtige Bedeutung hatte. Unterdessen bemerkte niemand, trotz voll funktionierender Warnhinweise, dass der Maschine in der Warteschleife der Sprit ausging.
Ein Beispiel von sehr vielen.

Aktionismus ist ein zunehmend verbreitetes Phänomen, nicht nur in unserer schnelllebigen Gesellschaft. Er spiegelt oft das Handlungsmuster in Unternehmen wider – bis in höchste Etagen.

Das Beispiel von United Flug 173 ist 1:1 übertragbar auf Unternehmen, die strotzend vor Jahrzehnte langer Gesundheit, in einem schnellen Wandel der Umgebungsfaktoren, krank schleichend nach wenigen Jahren von der Bildfläche verschwinden. Sie beschäftigen sich in einem Dunstkreis des Vergangenen und Unwichtigen mit sich selbst und finden vor lauter Aktionismus im eigenen Nebel den rettenden Ausweg nicht.

Aktionismus zu besiegen ist nicht einfach, da er im menschlichen Verhaltensmuster biologisch verankert ist.
Er geht auf das schnelle Erkennen von Gefahren und dem damit einhergehenden Flucht- oder Verteidigungstrieb zurück.
Bei Männern ist Aktionismus stärker ausgeprägt als bei Frauen.
Es bedarf, wie das CRM gezeigt hat, eines fassbar konkreten, einfach zu verstehenden Lehrmodells und einer Menge Training.
So hat sich die Luftfahrt in den operativen Bereichen, Schritt für Schritt weg vom Aktionismus, hin zum fehlerärmsten und effektivsten Arbeitsplatz der Welt zu entwickeln.

Hier arbeiten echte Teams erfolgreich zusammen – in jeder Situation.

Quellen:

Hackman, J. R. (2002) Leading Teams
Bonelli, R. (2018) Frauen brauchen Männer (und umgekehrt)

Freitag, 4. Januar 2019

Unsere aktuellen Literaturtipps für Sie

Wir freuen uns, Ihnen ab sofort unsere Literaturliste (PDF), regelmäßig aktualisiert, vorstellen zu können.



Alle Bücher haben wir, teils mehrfach, gelesen und analysiert.
Die Autoren sind anerkannte und ausgezeichnete Wissenschaftler mit hohem Praxisbezug. Sie prägen wesentlich die Forschung zum Crew-Resource-Management (CRM) – direkt oder indirekt.
Die Aktualisierung erfolgt immer über unseren Newsletter (Anmeldelink).
Es lohnt sich also ein Newsletter-Abo für Sie ;)

Für den Einstieg in das Thema CRM empfehle ich Ihnen besonders die Bücher von Jan-Ulrich Hagen „Fatale Fehler oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen“, Schulz von Thun „Miteinander Reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“ und Dietrich Dörner „Die Logik des Misslingens“

Standardwerke der Teamforschung haben J.R. Hackmann mit „Leading Teams: Setting the Stage for Great Performances“, Amy Edmondson mit „Extreme Teaming“ und – ganz neu – „The Fearless Organization“ geschrieben.
„The Fearless Organization” wurde gerade von der amerikanischen Fachpresse als „Book oft the Year 2018“ gewählt.
Das Buch ist außerordentlich praxisorientiert und aus meiner Sicht für jede Führungskraft eine Pflichtlektüre.

Der führende Forscher im Bereich Fehler und Fehlermanagement ist der Brite James Reason. Sein Werk „A Life in Error“ beschreibt auf sehr gut lesbare Weise die wissenschaftliche Basis der Fehlerforschung und des daraus entwickelten „Thread And Error Managements“, eine Weiterentwicklung des klassischen Fehlermanagements.
Sein neuestes Buch „Organizational Accidents Revisited“ aus 2016 vermittelt die aktuellen Erkenntnisse der mit nicht mal 30 Jahren sehr jungen Fehlerforschung.
Wer Reasons Forschung richtig versteht, versteht auch die oft gravierenden Fehler im heutigen Qualitätsmanagement und deren Auswirkung auf Effizienz und Innovationen.

Die psychologischen Hintergründe, warum Menschen so handeln wie sie handeln, und wie Beziehungen (privat wie beruflich) aus Sicht der modernen Psychologie und Hirnforschung funktionieren – oder eben nicht – beschreiben Raphael Bonelli und Joachim Bauer – beide weltweit anerkannte Ärzte, Psychiater und Neurowissenschaftler – eingängig und verständlich.
Die Verbindung zum CRM ist sehr eng, da die Beziehung zwischen Menschen einen wesentlichen Einfluss auf ihre Kommunikations- und Führungsqualität hat bzw. bei Teams auf die Effizienz und Fehlerquoten.
Daher stellt Amy Edmondson die auf intakte Beziehungen basierende „Psychologische Sicherheit“ auch als unbedingte Voraussetzung in den Fokus ihrer Betrachtungen.
Das CRM bestätigt diese Forschungen in der Praxis.

Das Buch von Kanki, Helmreich und Anca „Crew-Resource-Management“ ist das Basiswerk des CRM für die weltweite Pilotenaus- und weiterbildung.
Die hier dargestellten Verhaltensmuster und Regeln sind zudem Grundlage für die Personalauswahl von Crews in Cockpit und Kabine.
Heute spielt bei Checks und Fortbildungen in der operativen Luftfahrt (Crews, Technik, Bodenpersonal, Flugverkehrskontrolle, Flughafenbetrieb und Luftfahrtbehörden) das CRM eine dominierende Rolle, gleichwertig neben der jeweiligen Fachausbildung.

Um die Psyche eines „Helden“ und die Geschichte des alten Heldenbildes in der Gesellschaft zu verstehen, bezieht sich die Forschung dann und wann auf den authentischen Roman „The Right Stuff“ von Tom Wolfe. Er beschreibt die Historie der US-Testpiloten und Astronauten-Generation von 1945 bis in die 1970er-Jahre.
Im Crew-Resource-Management hat man erkannt, dass es nicht mit der pauschalen Abschaffung von Helden getan ist. Menschen brauchen Helden und sie brauchen Führung!
Nur das Bild und die Rolle des Helden musste von Grund auf „modernisiert“ werden.
Der Flugkapitän von heute ist in der neuen Heldenrolle aufgewachsen oder „umtrainiert“ worden.
Chesley Sullenberger, der „Held“ vom Hudson, hat dieses neue Rollenverständnis, zusammen mit seiner Crew, im Zuge seiner meisterhaften Notwasserung auf dem Hudson im Jahr 2009, in die breite Öffentlichkeit getragen.
Sullenberger ist noch heute, 10 Jahre später, in den USA das Vorbild für eine mustergültige, moderne Führungskraft.

Das Fazit aller Forschungen ist:

Führen muss erlernt und laufend trainiert werden, um Teams effiziente, fehlerarme, und innovative Arbeit zu ermöglichen.
Obwohl das seit 20 Jahren bekannt ist und die Umsetzung der Erkenntnis des Crew-Resource-Managements in der Luftfahrt zu einzigartigem Erfolg geführt hat, widmen Wirtschaft und Kliniken ihm (bisher) kaum ernsthafte Aufmerksamkeit.