Montag, 30. Oktober 2017

Sind Modelle und Trainings für Team-Effizienz auch wirksam?

In der Forschung zum Crew-Resource-Management (CRM) wurde von Anfang an nicht nur großen Wert auf eine passende Lehrmethode gelegt, sondern auch auf die Evaluierung der Trainings und Methoden.



Zugleich erkannten die Wissenschaftler eine große Schwäche der bisher angewandten Führungs- und Arbeitsmodelle: ihre Wirkung war quasi nicht belegbar.
Das konnten und wollten die Verantwortlichen nicht akzeptieren.

Dafür hatte man den Vorteil, dass mit den Flugsimulatoren und dem Line Oriented Flight Training (LOFT) eine gut definierte und sehr realistische Umgebung für die Teamforschung existierte.
So konnte die Wissenschaft einzelne Verhaltensweisen für Teamführer und Mitglieder (behavioral markers) isolieren, die beide Bedingungen erfüllten:
  1. relevant für die Sicherheit (=gute und effiziente Teamarbeit)
  2. gut zu beobachten, auch von Nicht-Wissenschaftlern (=Prüf-Kapitäne)

Hier ein Beispiel für den Bereich „workload management & situation awaress“ (Arbeitslastverteilung & Situationsbewußtsein):

  • Vermeidet den „Tunnelblick“, ist sich der Faktoren - wie Stress - bewusst, die seine Aufmerksamkeit reduzieren.
  • Überwacht die die Arbeit umgebenden Faktoren (in der Luftfahrt z.B. Wetter, Flugzeugsysteme, Instrumente und Funk). Teilt relevante Informationen sofort mit.
  • Bleibt gedanklich seiner Ist-Situation voraus ("5-Minuten vor dem Flugzeug"-Regel), um erwartete und vor allem unerwartete Ereignisse schnell und richtig einordnen und bearbeiten zu können.
  • Stellt durch mündliche Kommunikation sicher, dass sein Team (Crew) seine Pläne kennt und versteht.
  • Die Rollen- und Arbeitsverteilung im Team ist klar kommuniziert, verstanden und rückbestätigt.
  • Stellt sicher, dass Tätigkeiten in der Prioritätenliste richtig eingeordnet und bearbeitet werden.
  • Erkennt und meldet Arbeitsüberlastung sowie Verlust des Situationsbewusstseins bei sich und seinen Teammitgliedern ohne Verzögerung.
  • Plant ausreichend Zeit für das Programmieren automatisierter Vorgänge vor dem Start der entsprechenden Abläufe ein.
  • Stellt sicher, dass alle Teammitglieder ständig über Veränderungen im Status oder in den Abläufen informiert sind.
  • Erkennt potentielle Gefahren durch Ablenkung und Unaufmerksamkeit (durch automatisierte Abläufe begünstigt(!)), für sich und sein Team (Crew). Gestaltet angemessene Vorbeugemaßnahmen dafür.

Aus diesen Verhaltensweisen entwickelten die Forscher in enger Zusammenarbeit mit den Trainings-Designern und Prozess-Spezialisten konkrete Regeln und Verfahren für die Teams in Cockpit und Kabine.
Mittlerweile sind in der 6. Stufe des CRM fast alle Bereiche der operativen Luftfahrt inklusive der Fluglotsen in dieses enorm erfolgreiche Führungs- und Arbeitsmodell integriert.

In der Forschung hat man zudem festgestellt, dass Programme und Methoden, die konkrete Verhaltensweisen beschreiben, eine wesentlich bessere Wirkung auf Team-Prozesse und deren Ergebnisse haben, als abstrakte Konzepte.

Dienstag, 24. Oktober 2017

Sion in den Schweizer Bergen – die neue Kür für Manager

Das Setting:

Der Anflug auf Sion im Wallis ist die schwierigste Kategorie, die mit einem Airliner wie einer A320 überhaupt geflogen werden kann. Anders als z.B. auf Madeira sind es hier nicht wenige Minuten, die fliegerisch schwierig sind, sondern ein langer Cocktail eines komplexen Anflugprozesses, der keine Fehler verzeiht.
6 Grad Gleitweg (fast doppelt so steil wie normal) aus 16.000 Fuß, 5 Meilen Sichtanflug in Schlangenlinien durchs Tal im Finale (der Instrumentenanflug IGS geht bis ca. 5 Meilen vor der Bahn) und nur knapp 2.000 m Pistenlänge. Hier wird das Flugzeug in der Gewichtsklasse eines Mittelstreckenjets bis an die Grenze aerodynamisch ausgereizt. Dabei sind exzellentes Stressmanagement und ständiges Situationsbewußtsein bei präzisem Einhalten der Verfahren überlebenswichtig.

Auf den ersten Blick läuft hier alles easy nach Plan.

Auf den zweiten Blick waren Entscheidungsfindungen nach FOR-DEC in vier kritischen Momenten gefragt:

  1. Beim Erreichen des Landekurssenders (Localizer) und Umschalten auf den Anflugmodus fiel das Sendesignal kurz aus.
    Meine Entscheidung:
    Anflugroute nach Vorgaben des Navigationscomputers fortsetzen, da noch kein Sinkflug eingeleitet und noch einige Sekunden Zeit für eine finale Entscheidung (Abbruch des Anfluges) war.
  2. Nach Erreichen des Sinkflugpunktes (Initial Approach Fix) fiel der Gleitwegsender aus bzw. sein Signal war nicht zuverlässig. 
    Meine Entscheidung:
    Anflug nach alternativer Methode mit manuell gerechneter Sinkflugrate fortsetzen und Höhenchecks an den entsprechenden Punkten der Anflugkarte penibel durchführen.
  3. Das Instrumentenanflug-Minimum von 5900 Fuß war wegen Wolken nur äußerst knapp einzuhalten.
    Meine Entscheidung:
    da ich 100% sicher auf Kurs und meine Hindernisfreiheit bis 4500 Fuß garantiert waren, setzte ich den Anflug bis zu einer Sicherheitshöhe auf 5200 fort.
  4. Durch das Manöver unter 3. war ich im Finale im Sichtflugteil zu hoch.
    Meine Entscheidung: automatische Schubkontrolle und Autopilot sofort abschalten und manuell maximal möglich (unter Einhaltung der Sicherheitsmarken) korrigieren um frühestmöglich einen stabilen Endanflug sicherzustellen. Erschwert wurde das durch mäßige Scherwinde und Turbulenzen.

Was ist an einer solchen Teamübung im Rahmen des Crew-Resource-Management (CRM)-Trainings so wertvoll?

  1. Es funktioniert nach einem oder zwei Trainingstagen nur im „echten“ Team unter genauer Einhaltung der trainierten Voraussetzungen.
  2. Es erfordert eine Kommunikation im Team nahe 100 % nach den Regeln des CRM.
  3. Striktes Stressmanagement zur Erhaltung des Situationsbewußtseins (situational awareness) ist ein „must have“.
  4. Entscheidungsfindung unter Druck (FOR-DEC) muss hier in kürzester Zeit sicher ablaufen.
  5. Im Team muss es vollkommene Rollenklarheit und Rollendisziplin geben (Pilot Flying, Pilot Monitoring, Berater des PF und PM, Beobachter: Warnzeichen).

Gibt es überhaupt Teams in einem Manager-Training, die mehr vertragen als Innsbruck oder Madeira?

Ja, etwa 5 % der Teams im Training können das leisten. Deshalb entwickle ich ständig neue Szenarien mit veränderten Anforderungsprofilen.
Hier kommt es nicht auf 3-7 Minuten Höchstleistung an, sondern auf eine präzise Performance über mehr als 25 Minuten auf höchstem Level unter sehr komplexen Bedingungen.

Ist ein solches Szenario auch für ein Einzelcoaching geeignet?

Ja, im Stressmanagement-Coaching. Es hält ein sehr hohes Belastungsniveau über einen langen Zeitraum.
Im fortgeschrittenen Verlauf des Coachings kann das eine Option werden, damit der Teilnehmer am Maximum gefordert bleibt.

Macht ein solches Szenario bei Flugangst-Seminaren Sinn?

Nein, da liegt der Focus auf dem Kennenlernen, Verstehen und gewinnen von Vertrauen in das Flugzeug und seine Besatzung. Diese Übung ist dazu zu komplex und zu lang.

Dienstag, 3. Oktober 2017

Führen aus der Vorgesetztenperspektive - es fehlt der Spiegel

Wie beurteilen Sie die Perspektive der Ihnen hierarchisch/disziplinar unterstellten Menschen?

Dieses Szenario ist schwer zu simulieren, schon gar nicht in der Wohlfühl-Kunst-Atmosphäre eines Seminarraumes.
Kennen Sie dabei das Problem, dass der Empfänger Ihrer Nachricht (Mitarbeiter) oft nicht das versteht, was Sie als Sender vermitteln möchten?
Kommunizieren auf unterschiedlichen Ebenen ist eine der Hauptherausforderungen zwischen Chef und Mitarbeiter.

Testen Sie das mal und erfahren Sie die Sicht des Empfängers unter erheblichem Stress (steht der Mitarbeiter häufig auch, wenn er mit dem Chef spricht).
Sie lernen in den Elementen „Kommunikation“ und „Führen“ des Crew-Resource-Managements (CRM) bei uns im Cockpit Regeln und Methoden kennen, die das klassische Sender-Empfänger Problem minimieren und zuverlässiges, gegenseitiges Vertrauen auch unter Druck aufrechterhalten.

Ich nutze diese Kommunikations- und Führungsregeln auch in Flugangstcoachings, wie Sie im folgenden Video sehen.
Die Teilnehmer verlieren ihre Flugangst, weil sie im Laufe des Coachings durch eigenes, erfolgreiches Handeln den Kontrollverlust aufgeben. Dabei fangen sie an, das Flugzeug zu verstehen und ihm zu vertrauen.
Das gelingt nur mit Kommunikation auf Empfängerebene und Führen mit den drei unbedingten Voraussetzungen: Fachkompetenz, Vertrauen und Wohlwollen.
Diese drei Elemente hat die CRM-Forschung als Kernbedingungen für eine positive Hierarchie in einem erfolgreichen Team definiert.
Nur damit gelingen die Anforderungen an alle anderen Elemente des CRM


Im Clip sehen Sie:
die Teilnehmerin fliegt, ich moderiere auf ihrer Ebene. In aller Ruhe konzentrieren wir uns gemeinsam auf das Gelingen der enorm schwierigen Landung in Hongkong Kai Tak,  jeder in seiner Rolle.
Diese Aufnahme entstand nach 3 Stunden aufbauendem Training im Cockpit mit langsam, für die Teilnehmerin fast unmerklich wachsenden Ansprüchen an die Aufgaben des Flugzeugführers.
Jede professionelle Crew würde viele Verfahrensfehler entdecken. Aus der Sicht des Profis (Sender) stimmt das, aus der Sicht der Teilnehmerin (Empfänger) nicht. Das Ziel, die Maschine sicher auf die Piste zu bekommen, haben wir trotzdem immer erreicht. Dabei spielt in dieser Konstellation die Perfektion und Verfahrensredundanz keine Rolle, sondern nur das Gelingen der Landung selbst – der Empfänger definiert den Weg, das Ziel zu erreichen.
Der Sender, in dem Fall ich auf dem rechten Sitz, ebnet diesen Weg ohne seine eigene Welt aufzuzwingen. Es hätte auch keinen Erfolg.
Für das Erlernen einer Moderationsform in der Führungsrolle mit „Nicht-Piloten“ im Cockpit brauchte ich als erfahrener Flugkapitän ein Jahr hartes Training.
Die Herausforderung dabei ist nicht nur die fliegerisch-fachliche Seite (häufige Grenzzustände des Flugzeugs), sondern den Weg der CRM-Regeln in Kommunikation, Führen, Entscheiden und Stressmanagement mit unterschiedlichen, mir vorher nicht bekannten Teilnehmern (Empfängern), möglichst optimal einzuhalten und vorzuleben.
Auch ich mache mal Fehler. Das darf den Teilnehmer aber nicht verunsichern.
Seinen Weg darf ich als Moderator und Trainer nicht verlassen, egal was kommt.



Oft stellen mir meine Kunden am Anfang die Frage, wie oft denn die Maschine bei den Übungen abstürzt. Meine Antwort ist: nie!
Ich halte den Simulator auch nicht an.
Fehler auf dem eigenen Weg des Empfängers dürfen nicht in einer Fehlerkette mit fatalem Ausgang enden. Dieses Gelingen (das Flugzeug/Firma bleibt heile) unter teils extremen Bedingungen ist Teil der Botschaft und der herausragende Erfolg des Führungs- und Arbeitsmodells Crew-Resource-Management.

Eine weitere Pflicht habe ich mir auferlegt: ich greife selbst nicht in die Rollen der Teilnehmer ein. Nur so festige ich die Rollenstabilität meiner Managercrew im Cockpit.
Stetes Vorbild und Wohlwollen schaffen Stabilität und Vertrauen, das kann nicht hoch genug bewertet werden – auch eine wissenschaftliche Erkenntnis der Leadership-Forschung im Crew-Resource-Management.

Sie können sich vorstellen, dass das im Cockpit-Training oft ganz schön spannend wird und zu vielen „Aha-Effekten“ führt.