Dienstag, 5. Dezember 2017

Streiten denn Piloten nie?

Diese Frage wird mir von Führungskräften in Seminaren häufig gestellt, wenn die Elemente „Entscheiden“ und „Führen“ im Crew-Resource-Management (CRM) behandelt und trainiert werden.



Meine Antwort lautet:

Dann wären Sie ja Übermenschen ;)
Crews gehen nur anders mit Konflikten um.
Das „Geheimnis“ heißt FOR-DEC.

So kann der Satz „lass uns doch bitte FOR-DEC machen“ dem 1. Offizier oder Chef der Kabine die Tür für einen Einwand gegenüber dem Kapitän öffnen, ohne eine Provokation in einem hierarchischen Verhältnis zu riskieren, wenn wirklich mal zwei Meinungen gegeneinanderstehen.
Das klappt auch unter Zeitdruck gut, denn alle Besatzungsmitglieder sind im Umgang mit dem Entscheidungsfindungs-Modell FOR-DEC geschult und trainiert.

Die letzte Entscheidung liegt natürlich nach wie vor beim Kapitän. Sie fällt dann – nach dem FOR-DEC-Prozess, in fast allen Fällen in Übereinstimmung mit den Crewmitgliedern aus.

Besteht kein akuter Zeitdruck, so gibt es ergänzend noch den „Zaubersatz“:

„Was halten Sie für angemessen?“

So kann unter der Moderation des Kapitäns ein vielleicht bisher nicht erkannter, dritter Weg gefunden werden, der alle Ansichten berücksichtigt, ohne einen nachteiligen Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einzugehen. Es wird kein ungeklärter Konflikt hinterlassen, der im Krisenfall die Kommunikation erheblich behindert.

Ich habe diese Situation im Cockpit und in Unternehmen mehr als einmal erlebt.

Das „Sprit“-Beispiel:

Vor dem Rückflug von Lanzarote nach Hannover ging es darum, wieviel Kraftstoff getankt werden sollte.
Um das zulässige Startgewicht bei kräftigem Seitenwind auf der für diesen Jet kurzen Startbahn nicht zu überschreiten, schlug ich als Kapitän vor, nur knapp über der gesetzlichen Mindestreserve zu tanken. So konnten wir alle gebuchten Passagiere und die vorgesehene Fracht mitnehmen. Die Wetterlage war überschaubar und ich hatte auf der Route jahrelang Erfahrung gesammelt.

Mein sehr junger 1. Offizier sagte höflich aber klar, dass er die Menge für zu knapp halte, da bei einer eventuell höheren Gegenwindkomponente der Kraftstoff nicht sicher reiche.

Er hatte Bedenken, ich würde ein erhöhtes Risiko eingehen, um die wirtschaftlichen Vorgaben der Airline einzuhalten.
Er kannte mich ja nicht und hatte zu diesem Thema wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht.
Ich konnte seine Bedenken nicht so einfach zerstreuen.

Nun hatte ich zwei Möglichkeiten:
  1. Ich bin der Kapitän und entscheide so, fertig!
  2. Die Frage stellen: Was halten Sie für angemessen?
Ich entschied mich für 2., denn an einer miesen und wortkargen „Sie sind der Chef“-Stimmung im Cockpit war ich aus erwähnten Gründen auf keinen Fall interessiert.
Nun wollte ich aber auch nicht noch mehr tanken, da der Ärger bei zurückgelassenen Passagieren oder Fracht erheblich ist und nicht zur Kundenzufriedenheit beiträgt.

Was nun?

Ich suchte nach einer dritten, bisher nicht berücksichtigten Variante, die alle Bedürfnisse unter einen Hut bringt.
So kam ich auf den Vorschlag, die vorgesehene Menge zu tanken, den Kraftstoffvorrat auf dem Flug jedoch doppelt so häufig zu checken wie vorgeschrieben.
Beim geringsten Anzeichen, dass der Sprit eng würde, machen wir rechtzeitig, etwa auf halber Strecke, einen Zwischenstopp zum Nachtanken.

Um glaubhaft zu sein, ließ ich Sevilla als Ausweichflughafen demonstrativ mit in den Flugplan eintragen. Der Flugplan ist für jeden Trip eines Verkehrsflugzeuges bei der Verkehrskontrolle einzureichen und von ihr zu genehmigen.

Damit war mein Copilot sichtlich zufrieden – Atmosphäre gerettet.
Ich ging zwar das Risiko einer knapp 10.000 € teuren Zwischenlandung ein, aber nach meiner Erfahrung war diese Wahrscheinlichkeit sehr gering.
Wir landeten ohne Verspätung, nach rund 4 Stunden Nonstop-Flug in Hannover.

Diese Lösung war jetzt auf dieser Strecke mein Favorit in der dann und wann mal auftretenden Spritdiskussion.
Auf über 100 Flügen musste ich zweimal zu meinem Wort stehen und in Sevilla landen.
Das vertrat ich dann auch als „Kapitäns-Entscheidung“ ohne Zögern mit guten Argumenten bei der Flugleitung, denn: ich war der Kapitän und trug die Verantwortung nach oben.



So brachte ich alles unter einen Hut:
den Einwand der jungen Pilot/innen und den Wirtschaftlichkeitsanspruch der Airline, ohne durch „atmosphärische Störungen“ im Cockpit die Sicherheit zu gefährden.

Denn: genau durch solche Kommunikations-Barrieren sind vor dem CRM zahlreiche fatale Unfälle passiert.

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