Freitag, 2. Juni 2017

Chef – da machst Du einen Fehler!

Das klingt nach Revolution.

So war es in der Luftfahrt auch – und es waren sogar zwei Revolutionen.

Ab und zu produziere ich im Simulator für Flug-Interessierte einen Clip, der eigentlich nicht zur Demo der Inhalte des Crew-Resource-Managements dient.

Dennoch erläutere ich darin Zusammenhänge, warum Arbeitsabläufe und Rollen in der Crew so und nicht anders verteilt sind.



1. Revolution – die Trennung von Amt und Funktion
 – die Einführung des „pilot flying (PF)“ und des „pilot not flying (PNF)“


Die Trennung von Amt und Funktion im Cockpit war für eine traditionelle Hierarchie eine bahnbrechende Entwicklung.

Traditionell gibt es den Kapitän und den 1. Offizier. Das sind die Ämter. Die Funktionen waren gleichlautend. Der Kapitän flog das Flugzeug und entschied alles, der 1. Offizier machte die „niedrigen“ Arbeiten und durfte mal fliegen, wenn der Kapitän es erlaubte.

Jetzt wurde die Funktion vom Amt gelöst. Auch der 1. Offizier flog das Flugzeug verantwortlich und der Kapitän schlüpfte in die Rolle des Zuarbeiters.

Dabei bleibt der Kapitän immer der letzte Entscheider. Die Rollen PF/PNF wechseln in der Regel nach jeder Landung.
Auf Langstrecken fliegen zeitweise sogar zwei 1. Offiziere die Maschine, während er Kapitän ruht. Auf einem Schiff ist das schon länger so, in einem Flugzeug war das absolutes Neuland in der Führungs- und Arbeitskultur.

2. Revolution – der Kapitän wird aktiv von einem Mitarbeiter überwacht
 – aus dem „pilot not flying“ wird der „pilot monitoring (PM)“


Erstmals überwachte ein untergebener Mitarbeiter den direkten und anwesenden Vorgesetzten. Der Kapitän, in der Rolle des PF, musste Hinweise auf eventuelle Fehler akzeptieren und ihnen konstruktiv und anerkennend begegnen – „er musste“, nicht „er sollte“!

Das ist die Hauptaufgabe des PM. Auch er ist immer voll verantwortlich für die Sicherheit des Flugzeuges.
Da im Cockpit jedes gesprochene Wort und jeder Handgriff für 60 Minuten aufgezeichnet werden, gibt es auch keine beweisunsicheren Grauzonen bei der Analyse des Verhaltens der Beteiligten im Falle einer Untersuchung.

Was hat die Revolutionen ausgelöst?


Man hatte aus Unfällen und Störungen im Flugablauf die Erkenntnis gewonnen, dass vor allem nach der hohen Automatisierung des Flugablaufes, bedingt durch die nahezu komplette Digitalisierung des Cockpits, große Phasen geringer Beschäftigung entstanden.
Das führte bei beiden Piloten zu einem nachlassenden Fehler- und Situationsbewusstsein.

Was ist daran gefährlich? Der Computer fliegt doch besser als der Mensch


Ja, das tut er. Er fliegt meist besser, aber nicht immer richtig!

Der Computer akzeptiert Eingaben, die in manchen Situationen lebensgefährlich werden können.
Das betrifft vor allem die Navigation. Da die Bordrechner weitgehend selbstständig mit dem Flugmanagementsystem arbeiten, füttern sie den Autopiloten mit den falschen Eingaben und fliegen die Maschine völlig „ahnungslos“ ins Verderben.

Er führt die Befehle aus, kennt keine politischen Grenzen oder Routen, die wegen im Weg stehender Berge gefährlich sind.

So flog ein KAL Jumbo 1983 nachts über sowjetisches Hoheitsgebiet. Den Piloten war das nicht bewusst, glaubten sie doch den Bordrechner mit der richtigen Route gefüttert zu haben. Die Ursache für den Steuerfehler war ein Zahlendreher beim Aufsetzen des Systems am JFK-Airport in New York. Das Flugzeug wurde abgeschossen, da man seitens der Sowjetunion in der aufgeheizten Atmosphäre des Kalten Krieges eine Spionage-Mission vermutete.

American Airlines Flug 965 kollidierte 1995 beim Anflug auf Cali in Kolumbien nachts mit einem Berg, weil Kapitän und 1. Offizier die Übersicht über die Position verloren hatten, als der Fluglotse die vorprogrammierte Anflugroute ändern wollte.
Dabei wählte der Kapitän in der aufkommenden Verwirrung einen falschen neuen Wegepunkt im Bordrechner aus.

Die schon niedrig fliegende Maschine drehte in die hohen Berge ab und zerschellte an einem Hang. Beide Piloten haben dem digitalen Flugmanagement blind vertraut, nicht wissend was das eigentlich macht.



So ist es x-mal in digitalisierten Cockpits passiert, wie man immer wieder bei der Analyse von Unfällen festgestellt hatte.

Der PNF hatte bis dato nicht die Aufgabe, den PF bei seinen Handlungen intensiv zu beobachten, sondern war lediglich mit eigenen Aufgaben belegt, machte Funk und ein wenig Zuarbeit für den PF.

Die aktive Beobachtung und Kontrolle des PF und damit ggf. des Vorgesetzten war nicht als Hauptaufgabe definiert.

War der PF der 1. Offizier und der Kapitän der PNF, war das nicht so problematisch. Denn der Kapitän ist sowieso für die Fortbildung des 1. Offiziers zuständig und hatte diesen dann und wann zu korrigieren. Auch trägt er die Gesamtverantwortung für Mensch und Maschine.
Dem 1. Offizier jedoch stand es bislang nicht zu, seinen Chef zu kritisieren und der Kapitän war es nicht gewohnt damit gelassen und konstruktiv umzugehen.

Das hat sich nun seit einigen Jahren geändert. Intensives Training war und ist nötig um diese hierarchische Hemmschwelle zu überwinden – auf beiden Seiten.

Das schon relativ lange praktizierte bestrafungsfreie und offene Fehlermanagement im Crew-Resource-Management war der Nährboden, auf dem diese letzte zwischenmenschliche Hürde im Team auch unter kritischen Bedingungen und unter Anspannung relativ schnell genommen werden konnte.

Diese Arbeitsweise ist bei Einführung hochdigitalisierter Arbeitsprozesse, an denen Menschen beteiligt sind, auch für Unternehmen ein Modell, Fehler zu minimieren – doch es erfordert ein gravierendes Umsteuern in der Führungs- und Fehlerkultur.

Das Erfolgsmodell dafür gibt es ...