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Samstag, 26. November 2022

Digitalisierung – Fluch und Segen dicht zusammen

Im Moment ist er in aller Munde, der „digitale Fortschritt“ in der Arbeitswelt. Oft wird hier alles untergebracht, was mit „digital“ überhaupt zu tun, oder auch nicht zu tun hat.

Begriffe wie „digital Leadership“ oder „digitale Transformation“ allgemein zu gebrauchen, ohne Präzisierung des eigentlichen Themas, halte ich für überflüssig. Es nützt gar nichts.

„Digital Leadership“ hat nichts mit Technik zu tun


Der laufende Fortschritt und die damit verbundene Automatisierung haben schon immer hohe Anforderungen an Führung und Organisation gestellt. Das ist seit der Nutzung der ersten EDV in den 1970er-Jahren für die meisten Unternehmen spürbar geworden.

Was ist also neu?

Welche Anforderungen sind außergewöhnlich und brauchen völlig neue Ansätze?












Neu ist seit etwa 10 Jahren die globale Vernetzung im Arbeitsleben. Auf einmal beschleunigen sich Prozesse erheblich. Somit müssen die Entscheidungs- und Veränderungsgeschwindigkeiten angepasst werden. Die digitale Technik ist nur der Treiber, ein Mittel zum Zweck. Natürlich müssen auch Führungskr.fte der 1. Ebene verstehen, welche Möglichkeiten und Anforderungen sich damit ergeben. Aber Computerspezialisten müssen sie nicht werden. 

Die bisherigen Führungsstrukturen, gefangen in einer mehr als 100 Jahre alten Führungskultur, sind zu fehleranfällig und langsam. Da setzt „digital Leadership“ an. Prof. Utho Creusen prägte den Begriff aus dieser erkannten Notwendigkeit heraus. Das hat mit Wissen über Computertechnik rein gar nichts zu tun, sondern ausschließlich mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Miteinanderarbeiten, vor allem im Team.

Das erfolgreiche Team prägt „Digital Leadership“


Das Führungs- und Arbeitsmodell Crew-Resource-Management (CRM) der Verkehrsluftfahrt greift genau diese Herausforderung auf, wenn auch aus einem anderen Grund. Hier ist es die dringend notwendige Sicherheit, denn Fehler enden in der Flugzeugkabine schnell tödlich. Das war jedoch schon vor 30 Jahren – da hat in Unternehmen noch kein Mensch von „digital Leadership“ gesprochen. Der große Unterschied zu Creusens Ansätzen ist, dass das CRM ein schon lange in der Praxis bewährtes und lehrbares Modell ist. Letztlich brauchte man in Cockpit und Kabine schnell wirksame und nachweisbare Verbesserungen in Sachen Team und Führung.

Denn in der (mangelnden) Zusammenarbeit lagen die tödlichen Fehlerursachen. Das war die Erkenntnis der Forschung. Auch Harvard-Professor J. Richard Hackman, weltweit renommierter Teamforscher, kommt in seinem bekannten Standardwerk „Leading Teams“ zu den gleichen Ergebnissen und prägte damit das Crew-Resource-Management wesentlich mit.

Doch die Anforderungen durch Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt enden hier bei Weitem nicht. Auch das war und ist Ergebnis der CRM-Forschung.

Schnittstelle Mensch-Maschine entscheidet über Erfolg


Organisationsstrukturen und standardisierte Prozesse (SOPs) müssen immer wieder sehr genau überdacht und teilweise neu erfunden werden um die Schnittstelle Mensch- Maschine nicht zu einer (tödlichen) Falle werden zu lassen. Je mehr Automatisierung, desto kritischer wird diese Schnittstellen-Problematik. Unser Gehirn ist nämlich nur begrenzt „umprogrammierbar“. Es folgt jahrtausendelang antrainierten und weitervererbten Handlungsmustern.

Es gibt wohl weltweit keinen Arbeitsplatz, der „digitalisierter“ ist als ein modernes Flugzeugcockpit. Es gleicht mehr Raumschiff Enterprise als der allgemeinen Vorstellung vom alten Haudegen mit Lederkappe und Fliegerbrille, der vor Instrumenten mit zitternden Anzeigenadeln sitzt.

In den 1980er-Jahren, mit der Einführung des voll digitalisierten Cockpits im Airbus A320, wurde der Arbeitsplatz Cockpit neu erfunden. Damals passierte es, dass trotz erstklassiger Ausbildung und hervorragenden Teamgeists zwei der erfahrensten Piloten der Air France nicht schnell genug reagierten. Nur ein Jahr nach dem Erstflug steuerten sie diesen Wunderjet, vollbesetzt mit Pressevertretern und VIPs, vor den Augen der Zuschauer in einen Wald im französischen Mühlhausen wo die Maschine in Flammen aufging.

Die Computer haben Gehirne und Wahrnehmungen getäuscht. Die völlig neuen Handlungsmuster waren, obwohl zigmal vorher trainiert, in diesem Moment nicht schnell genug abrufbar. Bei einem Betriebssystem für PCs würde man sagen, das Cockpit hatte Usability- Schwachstellen, die in einer Grenzsituation den Nutzer (hier die Piloten) überfordert hatten. Es fehlten Erfahrungswerte und erprobte SOPs für diese neue Schnittstelle Mensch- Maschine.

Diese Flugzeugbaureihe wird primär von drei leistungsstarken Bordrechnern geflogen, denen die Besatzung per Solleingaben (Sidestick, Leistungshebel, ...) ihre Absichten bekannt gibt. Eine Revolution im zivilen Flugzeugbau.

Nur 3 Jahre später fiel wenige Kilometer vom ersten Unglück entfernt, beim Nacht-Anflug in Strasbourg, ebenfalls ein A320 vom Himmel. Die Ursache war die gleiche wie beim ersten Absturz: Missverständnis Mensch-Maschine (Computer).

Und es ging weiter: 1993 verunglückte wieder ein A320, dieses Mal der Lufthansa, bei einer Routinelandung auf dem eigentlich völlig unkritischen Verkehrsflughafen der polnischen Hauptstadt Warschau. Verantwortliche Piloten waren zwei hocherfahrene Flugkapitäne, von denen einer sogar Ausbildungs- und Prüfkapitän war.

Eine wesentliche Ursache des Unfalls: Die von den Piloten nicht verstandene Reaktion des Bordcomputers, ausgelöst durch besondere Nässe auf der Landebahn. Nun war es ja nicht so, dass nach den ersten Zwischenfällen nicht gehandelt wurde. Immer wieder wurden die Steuer- und Navigationssoftware der Maschine verbessert, die Bedienungssicherheit erhöht und die SOPs angepasst.



Wegen der Zwischenfälle mit der neuen Fly by Wire Steuerung entschied Boeing sich erst etwa 10 Jahre später für diese Technik. Sie wurde mit der Boeing 777 (Triple Seven) Ende 1995 in den Liniendienst übernommen. Boeing verzichtet bis heute auf die Sidesticks und verwendet klassische Steuerhörner als Eingabeinstrument für die Computer.

Die Sidestick-Steuerung spielte eine wesentliche Rolle beim wohl tragischsten Mensch- Maschine-Unfall der Luftfahrtgeschichte. Im Juni 2009 stürzte der Air France Flug 447, ein Airbus A330, nachts mitten über dem Südatlantik ab und blieb fast zwei Jahre verschollen. In den im Meer versinkenden Trümmerteilen des Airliner starben 228 Menschen. Erst bei der 5. Suchaktion fand man die beiden zum Glück noch intakten Flight- und Voicerecorder.

Endlich konnte das bis dahin völlig rätselhafte Verschwinden dieses Großraumjets aufklärt werden. Die Ursache: kompletter Kommunikationsbruch zwischen Mensch und Maschine, ausgelöst durch eine Kleinigkeit. Und so stürzte ein völlig flugfähiges Flugzeug wegen einer komplett von den Bordcomputern verwirrten Cockpitbesatzung, bestehend aus drei Piloten (Kapitän und zwei 1. Offizieren) ins Meer. Chesley B. Sullenberger, der Held vom Hudson, der im Januar 2009 einen Airbus A320 nach doppeltem Triebwerksausfall unmittelbar nach dem Start sicher auf dem Hudson River vor der Skyline New-Yorks notwasserte, kommentierte den Crash über dem Atlantik mit den Worten: „Mit einer Boeing wäre der Unfall weniger wahrscheinlich gewesen.“ Er hat aus meiner Sicht recht.

Die Gründe: weniger Digitalisierung, weniger neue Handlungsmuster.

Erst nach dem A330 Unfall 2009, 18 Jahre nach Einführung dieses voll digitalisierten Großcomputers mit zwei Piloten, haben der Hersteller und Airlines Ausbildung, Usability und Software so perfektioniert, dass der Mensch auch zur voll digitalen Flugzeug-Technik passt und Fehler dieser Art so unwahrscheinlich sind wie in einem analogen Cockpit. Heute sind die Computer im Cockpit beim Menschen wirklich angekommen.

Ich habe selbst diesen Umstieg miterlebt: vom fliegenden „Uhrenladen“ zu Captain Kirk. Ich musste mein Pilotenleben noch einmal neu erfinden. Computer haben heute noch einen gewaltigen Nachteil gegenüber uns Menschen: sie können in hochkomplexen Situationen nicht im Voraus erkennen und danach handeln, nicht schnell genug selbst lernen und nur auf ihre begrenzt sensible Sensorik reagieren. Um den Menschen im Cockpit oder im Auto komplett zu ersetzen, sind sie viel zu langsam.

Wir werden also an der Schnittstelle Mensch-Maschine noch lange arbeiten müssen, da die Computer in wesentlichen Bereichen ihren Job ohne den Menschen nicht richtig erledigen können.

Nur an dieser einen von mir beschriebenen Schnittstellen-Problematik sehen Sie, dass ein einseitiges, undifferenziertes Einfordern der Digitalisierung nicht immer zielführend ist. Als Argument für fehlenden Digitalisierungswillen in den Führungsetagen wird von der Softwareindustrie gerne das fehlende Verständnis der digitalen Technologien, z.B. cloudbasierten Datenspeichern und Netzwerken angeführt. Daran hängen jedoch neben einer notwendigen neuen Führungskultur (digital Leadership) eben auch komplett neu zu definierende Prozesse und SOPs.

So ist eine wesentliche Folge der CRM-Forschung im digitalen Cockpit die Einführung des „effective monitoring“ gewesen. Es hilft wirksam, Unglücke, wie oben beschrieben, zu verhindern. Aus diesem Wissen wurde die Position des „pilot not flying (PNF)“ in die Stelle des „pilot monitoring (PM)“ verändert. Das war eine beutende Wendung, auch in der bestehenden hierarchischen Ordnung.

Amt und Funktion der Piloten wurden erstmals deutlich voneinander getrennt.

So kann der Kapitän auf dem einen Flugabschnitt „pilot flying“ (PF), auf dem anderen PM sein. Die ganze Zeit bleibt er aber Kapitän und hat die letzte Entscheidungsgewalt. Die Rolle des PM hat als primäre Aufgabe, die Flugdurchführung und Leistung des PF zu überwachen, gefährliche Abweichungen oder Fehlleistungen festzustellen und klar zu kommunizieren. Er trägt als PM genauso wie der PF die volle Verantwortung für die sichere Flugzeugführung. Neu war auch, dass diese Feststellungen von Fehlern absolut keine negativen Konsequenzen für die Akteure haben.

Diese Veränderungen sind wesentlich durch die Digitalisierung im Mensch-Maschine Arbeitsraum bestimmt worden.

Es wäre also fahrlässig, jedem Drängen nach digitalisierten Fortschritten unreflektiert nachzugeben. Digitalisierung muss schrittweise und unter genauer Analyse der umgebenden Arbeitsabläufe stattfinden. Dazu braucht es fachlich qualifiziertes Personal – nicht nur aus der IT.

Schnittstelle Softwareingenieur nimmt direkten Einfluss


Eine andere Schnittstelle wurde im technologischen Cockpit-Fortschritt ebenfalls neu definiert.

Mit der Übernahme wesentlicher Steuerelemente im Flugzeug durch Computer nahm erstmals auch ein Softwareingenieur direkten Einfluss auf die Flugzeugsteuerung. Mit dem Steuerhorn oder Sidestick gibt der Pilot Sollwerte an den Rechner, der interpretiert nach den einprogrammierten Mustern und setzt dann erst die Hydraulik zum Ansteuern der Ruder und Klappen in Gang.
Das gleiche gilt für die Triebwerke.

Mit dieser tiefgreifenden Veränderung wurden auch ganz neue Kommunikations- Anforderungen definiert. Softwareingenieure mussten zuerst einmal lernen, ohne „Übersetzer“ mit Piloten und Technikern zu kommunizieren – so, dass sie einander verstanden.

Exakt diese Anforderung können wir auf jedes Unternehmen übertragen, das digitalisierte Landschaften betritt. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten, mindestens genau so viel, wie in der hierarchischen Führungskultur.

Ich selbst habe mehr als einmal erlebt, dass es zwischen IT und den verschiedenen operativen Arbeitsebenen tiefe Zerwürfnisse gab. Sender und Empfänger arbeiten oft auf verschiedenen Frequenzen. Echte Kommunikation gibt es gar nicht, nur gegenseitige Vorwürfe.

Dieses Sender-Empfänger-Problem ist ebenfalls ein Kernthema im CRM der Luftfahrt. Auch die gesamte Luftfahrtentwicklung ist heute, in der 6. Stufe des CRM, auf dieses zukunftsweisende Führungs- und Arbeitsmodell umgestellt.

Richtige und effektive Kommunikation benötigt ein taugliches, einfach verständliches und klares Kommunikationsmodell mit konkreten Regeln. Sonst klappt es nicht. Auch das ist eine Erkenntnis der CRM-Forschung.

Was wir brauchen sind also weniger die ewigen Rufer nach digitalem Fortschritt, sondern die führenden Köpfe in Unternehmen, die die notwendigen Veränderungen umsichtig planen und konsequent Schritt für Schritt umsetzen.

Dabei muss jeder im Unternehmen einbezogen und dauerhaft gehört werden. Heute ist in der Luftfahrt jede Reinigungskraft, jedes Ladepersonal und jeder Tankwart ein aktives Mitglied im Führungs- und Arbeitsmodell Crew-Resource-Management. In der Luftfahrt hat man nicht nur verstanden, man lebt es auch – seit 30 Jahren mit durchschlagendem Erfolg.

Digitalen Fortschritt kann man eben nicht alleine technisch erreichen!

Zwei Standardwerke für die, die tiefer einsteigen wollen


Wikipedias Definitionen


Spannende Berichte der erwähnten Flugzeug-Unfälle


Freitag, 14. Mai 2021

Die 8 Phasen der Veränderung – deshalb scheitern die meisten Change-Prozesse in der Praxis

Change-Prozesse scheitern in 80 % der Fälle. Das ist hinlänglich bekannt, zig-fach kommentiert und es wird trotzdem nicht besser.

Warum scheitern "Changes" so oft?

Der weltberühmte Fehlerforscher James Reason liefert in seinem gut lesbaren "Abschieds"-Werk A Life in Error eine gute Begründung. Dass ich von dieser Herleitung so überzeugt bin, liegt an der Parallele zur Geschichte des Crew-Resource-Managements (CRM) der Luftfahrt.




Die zusammenfassende Erkenntnis von James Reason ist:
Der Erfolg von Veränderungs-Prozessen hin zu einer besseren Führungs- und Fehlerkultur erfordert zunächst eine Verhaltensänderung, basierend auf einer psychologisch sicheren Arbeitsatmosphäre.
Wir jedoch versuchen im Change meist die Strukturen, sprich die Organisation zu verändern. Das lässt sich ja prima in Excel und anderen Plan- oder Projektboards abbilden. Auf das Verhalten der Menschen in diesem Prozess, insbesondere der Führungskräfte, gehen wir gar nicht, oder nur am Rande ein.
Das Fundament der psychologischen Sicherheit (Blog-Artikel) fehlt gänzlich.
Die Organisation folgt im erfolgreichen Veränderungsprozess dem Verhalten, nicht umgekehrt.


Die von Reason beschrieben 8 Phasen eines Change-Prozesses


Phase 1 : Alles ist gut
Niemand sieht die Notwendigkeit einer Veränderung. Alle Manager sind zufrieden mit den Status quo. Sie glauben, sie haben KEIN Qualitäts- und Führungsproblem. Sie sind zufrieden mit der Art und Weise, wie sie ihre Effizienz steigern und Kosten einsparen.

Phase 2: Es muss sich etwas ändern. Wir wissen nicht, was
Die Manager erkennen die Notwendigkeit für Veränderungen, wissen aber nicht, in welche Richtung das gehen soll. Alle bisherigen Versuche sind fehlgeschlagen, die Öffentlichkeit hat sie dafür scharf kritisiert. Die bisherigen Qualitäts- und Führungsmaßstäbe erkennen sie als unzureichend, die Unzulänglichkeiten in der Fehler- und Führungskultur verstehen sie jedoch nicht oder ignorieren sie.

Phase 3: Wir wissen, was. Wir wissen nicht, wie
Das Management weiß, was es verändern muss, weiß aber nicht mit welchen Mitteln das geschehen soll. Sie erkennen, dass die bisherigen Maßstäbe ihrer Fehler- und Führungskultur nicht mehr angemessen sind. Sie wissen jedoch nicht, wie sie diese Kultur verändern können.

Phase 4: Wir wissen, wie. Wir glauben nicht, dass wir es schaffen
Das Management hat das Know-how für die notwendigen Veränderungen der Fehler- und Führungskultur erworben, zweifelt jedoch, ob das Unternehmen dafür bereit ist. Die laufenden Projekte übersteigen schon jetzt ihr Budget. Das Unternehmen hat Personalengpässe und Projekte, die im Moment wichtiger sind. Man verschiebt die Veränderungsvorhaben auf später.

Phase 5 : Nur kosmetische Veränderungen
Man fängt an, notwendige Veränderungsprozesse einzuleiten, jedoch nur in kosmetischer Form. Man sucht Abkürzungen auf dem Weg zum Ziel. Der Prozess wird weder verfolgt, noch auf seine Wirkung überprüft.

Phase 6: Änderungen zeigen keinen Erfolg
Man setzt Veränderungen um, stellt aber fest, dass sie keinen Vorteil erzeugen. Das Modell der veränderten Kultur passt nicht zur realen Welt.

Phase 7: Erfolg zu kurzfristig
Die Veränderung fängt an Früchte zu tragen, taugt jedoch nicht für die zukünftigen Herausforderungen. Das Modell ist nicht flexibel genug für unvorhergesehene und störende Ereignisse im Markt.

Phase 8: Erfolgreiche nachhaltige Umsetzung
Die Veränderung der Arbeits- und Führungskultur ist erfolgreich gelungen und stabil etabliert. Die neue Unternehmenskultur hält Schritt mit den sich schnell verändernden Anforderungen im Markt. Sie bringt dem Unternehmen kontinuierlich Vorteile in Effizienz, Qualität und Wettbewerb. Die Mitarbeiter haben attraktive Perspektiven und eine hohe Motivation.

Reason fand weiter heraus, dass jedes Unternehmen oder Organisation alle diese Phasen durchmacht und, dass nur die letzten beiden (7+8) wirklich sicht- und messbaren Erfolg bringen.

Die meisten Unternehmen brechen bereits bei Phase 3 oder 4 ab und beginnen irgendwann von vorne –  um wieder dort zu enden. Welchen Schaden und Frust das für Unternehmen und Mitarbeiter auslöst, können Sie sich vorstellen. Wir erleben es jeden Tag in der Praxis.


Hier noch einmal das erwähnte Buch:

Reason, J. (2013) A Life in Error - From Little Slips to Big Disasters, Ashgate, Farnham, England, Burlington, USA.

Amazon

Montag, 22. Juli 2019

Head of Nothing - Team Lead of Irgendwas

Mit fassadenschmückenden Titeln und Organisationsmodellen aus dem Lehrbuch (teilweise wenig bis gar nicht wissenschaftlich belegt) wird oft versucht schnellen Veränderungen Herr zu werden.
Die Titelträger tragen meistens weder echte Verantwortung noch gibt es für die Vorhaben geeignete Rahmenbedingungen im Unternehmen.
 Häufig erzählen mir Manager von der Unmöglichkeit ihrer Zielvorgaben. Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Sie wird an Rahmenbedingungen und Vorgaben geknüpft, bei denen die gewünschten Ziele niemals erreicht werden können.
Offen kommuniziert wird das jedoch in Unternehmen nicht, aus Angst vor Ausgrenzung und Karrierenachteilen. Man schluckt lieber alles knirschend und guckt sich latent nach einem anderen Job um. Die Fluktuationsquoten, Zahlen über Burnouts und inneren Kündigungen sprechen für sich.

Das gravierendste Problem ist jedoch ein anderes.
Mit diesen Titelgirlanden- und Organisationsaktivismus fängt das Management am falschen Ende an.
Denn, das Verhalten der Beteiligten, vor allem der Führungskräfte (auf die kommt es an) ändert sich nicht. Da bleibt alles beim Alten, eingebettet in einer Führungskultur formaler Barrieren, Angst und damit Ablehnung von wirklicher Verantwortung.

Der Weg zur lernenden Organisation kennt aber nur eine wirksame Formel:
Verhaltensänderung kommt vor Struktur (Organisation)! Und das ist wissenschaftlich übereinstimmend belegt. Alles andere führt zu noch mehr Frust und Fehlern.

Wenn der richtige Weg bereits sehr gut wissenschaftlich erforscht und dokumentiert ist sowie im
Crew-Resource-Management in der Luftfahrt seit mehr als 30 Jahren äußerst erfolgreich gelebt wird, warum findet er in Industrie, Kliniken und Organisationen keine oder nur sehr vereinzelt Nachahmer?

Donnerstag, 10. Januar 2019

Wachsender Aktionismus – häufig der Anfang vom Ende

In unserem
 Workshop „Berufsbild Pilot“, den wir zusammen mit der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung für an der Luftfahrt interessierte Abiturienten veranstalteten, stellten mir die Schüler folgende Frage:



Warum sehen die Piloten im Cockpit immer so entspannt und gelassen aus?


Diese Frage behandelt zugleich eine Kernaussage im Crew-Resource-Management (CRM).
Meine Antwort darauf ist kurz aber in der Praxis nicht so einfach umzusetzen wie es scheint:

Sie vermeiden jede Art von Aktionismus, verbal wie operativ!


Beide Formen von Aktionismus (viele nennen den verbalen Aktionismus auch Geschwätzigkeit) waren, gepaart mit hierarchisch formellen Verhaltensmustern die Hauptursache für in der Luftfahrt steigende Unfallraten bis zur Einführung des CRM in den 1980er Jahren.

Aktionismus ist eine der Hauptursachen für Führungs- und Teamversagen.




Anders war es nicht zu erklären, dass drei hocherfahrene Piloten einen Jet leer flogen und mitten in der Nacht in einem Vorortwäldchen einer amerikanischen Großstadt notlanden mussten, weil sie sich zu dritt mit Hingabe dem Austausch eines 10 Cent Lämpchen widmeten, das zu dieser Zeit keine wichtige Bedeutung hatte. Unterdessen bemerkte niemand, trotz voll funktionierender Warnhinweise, dass der Maschine in der Warteschleife der Sprit ausging.
Ein Beispiel von sehr vielen.

Aktionismus ist ein zunehmend verbreitetes Phänomen, nicht nur in unserer schnelllebigen Gesellschaft. Er spiegelt oft das Handlungsmuster in Unternehmen wider – bis in höchste Etagen.

Das Beispiel von United Flug 173 ist 1:1 übertragbar auf Unternehmen, die strotzend vor Jahrzehnte langer Gesundheit, in einem schnellen Wandel der Umgebungsfaktoren, krank schleichend nach wenigen Jahren von der Bildfläche verschwinden. Sie beschäftigen sich in einem Dunstkreis des Vergangenen und Unwichtigen mit sich selbst und finden vor lauter Aktionismus im eigenen Nebel den rettenden Ausweg nicht.

Aktionismus zu besiegen ist nicht einfach, da er im menschlichen Verhaltensmuster biologisch verankert ist.
Er geht auf das schnelle Erkennen von Gefahren und dem damit einhergehenden Flucht- oder Verteidigungstrieb zurück.
Bei Männern ist Aktionismus stärker ausgeprägt als bei Frauen.
Es bedarf, wie das CRM gezeigt hat, eines fassbar konkreten, einfach zu verstehenden Lehrmodells und einer Menge Training.
So hat sich die Luftfahrt in den operativen Bereichen, Schritt für Schritt weg vom Aktionismus, hin zum fehlerärmsten und effektivsten Arbeitsplatz der Welt zu entwickeln.

Hier arbeiten echte Teams erfolgreich zusammen – in jeder Situation.

Quellen:

Hackman, J. R. (2002) Leading Teams
Bonelli, R. (2018) Frauen brauchen Männer (und umgekehrt)

Montag, 17. Dezember 2018

Sehr gutes Fehlermanagement – ein aktuelles Beispiel

Der Krieg gegen Fehler wird nie enden – und es wird nie einen klaren Sieger geben.

Zitat James Reason, weltbekannter Fehlerforscher, in seinem neusten Buch „Organizational Accidents Revisited“
 (Link zu Amazon)



Die Luftfahrt gibt immer wieder Beispiele für schnelles, effektives und lösungsorientiertes Fehlermanagement. Eigentlich ist es mehr als das, nämlich „Thread And Error Management (TEM)“, die Fortentwicklung des klassischen Fehlermanagements.


Denn, nicht der Fehler selbst wird mehr für sich alleine betrachtet und aufgeklärt, sondern sein gesamtes Umfeld einbezogen.
Dabei tritt in den meisten Fällen eine komplexe Ursachen-Wirkungskette auf. Singuläre Kausalitäten finden sich nur selten.
Es sind fast immer komplexe Mechanismen, die Sicherheits-Barrieren brechen lassen und dann in einem fatalen Ereignis enden.
Oder in kurzem Deutsch: es macht nicht plötzlich Plumps und ein Flugzeug fällt vom Himmel, auch wenn es für Außenstehende so aussieht.



Jetzt zu meinem aktuellen Beispiel, dem bitteren Ende des Lion Air Fluges JT 610 in der Nähe von Jakarta:

das Unglück passierte Ende Oktober und heute, am 12. Dezember 2018, greift bereits weltweit ein umfangreiches Maßnahmenpaket bei Airlines, Hersteller und den Trainingscentern für die
Boeing 737 MAX.

Es sind nur knapp 45 Tage vergangen, da liegt nicht nur ein öffentlich zugänglicher, offizieller Zwischenbericht über wesentliche Fakten des Unglücks vor, sondern es wird bereits ein Bündel von konkreten Maßnahmen (siehe weiter unten) umgesetzt.
Dieses Paket sorgt in kürzester Zeit für ein deutliches Plus an Sicherheit in der Luftfahrt.

Wie unsere Gesellschaft im Allgemeinen auf solche Fehler reagiert, haben wir leider wieder in vielen Medien erlebt.

Da berichtet SPIEGEL-online vom „verschlimmbesserten Flugzeug Boeing 737“ unmittelbar nach dem Unfall, und eine breite Presse äußert „skandalträchtige Abläufe“ bei Lion Airbus-A320-Simulator.
In den sozialen Medien werden von „Experten“ schnell Schlüsse über die unverantwortliche Abhängigkeit von nur einem Sensor für die Flugsicherheit gezogen.
Zwischendurch wird Boeing noch mal moralisch an die „Wand genagelt“, weil sie angeblich nicht ausreichend auf die neue Technik zur automatischen Vermeidung von Strömungsabrissen in den Handbüchern hingewiesen haben.

Fast alle medialen Darstellungen und öffentlichen Diskussionen haben eines gemeinsam: sie lieben die singuläre Kausalität, suchen den einen Schuldigen und verfallen aktionistisch in Rückschaufehler.

Weil der oder das so war, sind jetzt 189 Menschen tot. Und, es ist doch klar, dass dieses oder jenes zu diesem oder jenem Ergebnis führt.
Ja, heute, nach dem fatalen Ereignis und genauer Untersuchung wird das Bild klarer, aber vorher ist es das eben nicht, weil die Erkenntnisse von heute damals gar nicht bekannt waren (Rückschaufehler).


Die Luftfahrt hat dank des Crew-Resource-Managements zum Wohle aller eines gelernt:

Sie lassen sich nicht (mehr) von solchen Verhaltensmustern beeinflussen oder gar lenken.

Die präzise Untersuchung eines Luftfahrtunfalls ist überhaupt nur möglich, weil die beiden „Black Boxen“ an Bord alle Vorgänge in Cockpit, Kabine und bei der Verkehrslenkung, inklusive der Kommunikation zwischen allen direkt Beteiligten, aufzeichnen und damit wichtige Fakten bereitstellen.

Flugunfalluntersucher, Airlines und Hersteller arbeiten bei der Analyse und dem daraus abzuleitenden Paket an Verbesserungen und Maßnahmen international, mit offenem Visier zusammen.

Ja, da zeigt auch mal einer der Betroffenen „Nerven“, wie hier die Lion Air, die, glaube ich etwas unüberlegt, über Stornierungen der laufenden B737 MAX-Bestellungen gesprochen hat.

Doch diese Irritationen sind immer nur von kurzer Dauer und es wird von den anderen Beteiligten nicht nachgetragen.

Offene, direkte, prägnante und schnelle Kommunikation und der unvoreingenommene Umgang mit den zu Tage geförderten Fakten sorgen in kürzester Zeit dafür, dass ein Wiederholungsfall dieser Fehlerkette sehr viel unwahrscheinlicher wird – und zwar bei weltweit allen Airlines und dem Hersteller zugleich.


Mit der Inbetriebnahme der neuen Boeing 737 MAX wurde ein Flugzeug in den Luftverkehr gebracht, dass mit der ursprünglichen 737, mit analogen Steuersystemen, nicht mehr viel gemein hat. Das wurde unterschätzt, von vielen Beteiligten, nicht nur von Boeing selbst.
Menschen machen diese Fehler, das ist unvermeidlich – eine wesentliche Erkenntnis der Fehlerforschung und auch im Crew-Resource-Management.

Klar, irgendeiner löst letztlich die Handlung(en) aus (sharp end, wie die Fehlerforscher sagen), die das fatale Ereignis zur Folge hat.
Den oder die als Schuldige zu benennen, zu bestrafen und dann zur Tagesordnung überzugehen würde niemandem nützen. Es macht weder die Toten wieder lebendig noch vermeidet es die Wiederholung dieser fatalen Kettenreaktion.

Im Falle von Flug JT 610 und seinem traurigen Ende waren das „sharp end“ die technisch Verantwortlichen der Airline und die Piloten. Ja, sie sind in der Fehlerkette auch sehr relevant. Sich auf sie alleine in der Betrachtung zu beschränken, würde jedoch den Flugbetrieb mit der B737 MAX nicht wirklich sicherer machen.

Erst das Zusammenspiel der Maßnahmen, hier aus Softwareänderungen im Flugzeugmanagement, einsetzen zusätzlicher Warnsysteme im Cockpit, klarerer Dokumentationen der neuen Technik für die Piloten, verbesserter Ausbildung für diesen Flugzeugtyp und natürlich eine grundlegende Überarbeitung der Verfahren bei Lion Air und anderen zum Umgang mit solchen technischen Störungen erhöht wirklich die Flugsicherheit.

Die Verkehrsluftfahrt steht ständig vor enormen Herausforderungen, technischer wie organisatorischer Hinsicht. Immer mehr Automatisierung, überfüllte Lufträume und scharfer Wettbewerb, mit schmalen Margen, sind nur sicher zu bewältigen, wenn das System der Fehleraufarbeitung so gut funktioniert wie es das jetzt tut.

Natürlich lässt sich auch das TEM stets weiter verbessern. Die immerwährende Unvollkommenheit lässt Qualitätsmanager und Unfallforscher in der Luftfahrt nicht mutlos werden.

So geht James Reason in seinem oben erwähnten Werk auch mit „Target Zero“, also null Fehler- Forderungen und Modellen hart ins Gericht.
Noch härter geht er mit Managern um, die Forderungen wie „x-Prozent Fehlerreduzierung in n-Jahren“ postulieren. Die Vorgehensweise „fordern sie das Unmögliche um das Mögliche zu erreichen“ ist tödlich für jedes Qualitätssystem, hemmt den Fortschritt und erzeugt nachhaltige, oft fatale Kollateralschäden. Auch in Deutschland leben uns Unternehmen so etwas (leider) immer wieder vor.

Seien Sie sicher, dass mit der fortlaufenden Weiterentwicklung des Crew-Resource-Managements das Mögliche getan wird immer besser zu werden. Die Teams funktionieren und das gemeinsame Ziel ist für jeden darin erstrebenswert, eine der wichtigsten Bedingungen für echte Teams.
Das, zusammen mit den richtigen Voraussetzungen für erfolgreiche Teams, bringt maximal möglichen Output – aber, Fehler werden immer wieder passieren.


Wieviel Geld könnte gespart, wieviel Burnouts und innere Kündigungen verhindert werden, wieviel mehr Innovationen schneller an den Markt, und wieviel weniger Patienten zu Schaden kommen, wenn die Verhaltensweisen und Regeln des Crew-Resource-Managements auch in Unternehmen und Kliniken nachhaltig etabliert werden.

Mittwoch, 7. November 2018

Der Held – unerwünscht oder doch nicht (?)

Als mir der Begriff „Held“ im Crew-Resource-Management (CRM) das erste Mal begegnete, dachte ich zuerst: oh je, jetzt kommt wieder eine der üblichen ideologischen Machodiskussionen.

Ich habe mich geirrt!

Hätte sich die Forschung nicht ausführlich mit dem Phänomen des Helden beschäftigt, wären erfolgreiche Ergebnisse im CRM kaum möglich gewesen.

Heute lese ich oft, dass der Held ausgedient hat.
Das stimmt aber nur in Grenzen. Helden wird es immer geben. Der Mensch will und braucht Helden.
Es gibt kaum einen Bericht, in dem nicht versucht wird, bestimmte Leistungen – oder auch Fehler – einzelnen Personen zuzuordnen.
Wir erleben das immer wieder, zum Beispiel in der Politik aber auch in der Berichterstattung über Unternehmen.



Auch in Zeiten des CRM gibt es immer wieder „heldenhafte“ Taten.

Chesley B. Sullenberger, der im Jahr 2009 einen Airbus A320 auf dem Hudson River in New York notwasserte, ohne dass ein einziger Mensch verletzt wurde, war sofort der „Held vom Hudson“.

Im Jahr 1989 gelang es Flugkapitän Al Haynes mit spektakulären Manövern fast 200 Menschenleben zu retten. Ihr Tod galt als sicher.
Er schaffte es, die DC 10 trotz Ausfall der kompletten Steuerhydraulik mit einer bewundernswerten Crewleistung bis zum Aufsetzen in einer stabilen Fluglage zu halten. Erst dann kam das Flugzeug außer Kontrolle, brach auseinander und geriet in Brand.
Von den knapp 300 Personen an Bord überlebten zwei Drittel diese Katastrophe, auch dank des hervorragenden Einsatzes der Flughafenfeuerwehr.
Bis heute ist es niemandem gelungen, dieses 30 Minuten dauernde Drama im Simulator so erfolgreich zu fliegen, wie die Crew um Flugkapitän Haynes. Spätestens 10 Meilen vor der Landebahn scheiterten selbst die besten Crews im Simulator.
Auch in diesem Fall wurde in den Medien nur der Flugkapitän als Held herausgestellt.

Die beiden eben geschilderten Unfälle waren ein Musterbeispiel für sehr gut funktionierendes
Crew-Resource-Management. Beide Male sind es aber keine Einzelleistungen der Flugkapitäne gewesen.
Die Käptens waren nur deshalb zu dieser außergewöhnlichen Führungsleistung fähig, weil das Team um sie herum perfekt funktionierte.
Ihre eigentliche „Heldentat“ bestand darin, dieses Team von Anfang an ideal zu führen, sodass es seine volle Leistungsfähigkeit entfalten konnte.
Im Falle der Hudson-Landung arbeiteten der erste Offizier Jeffrey B. Skiles
und die Kabinenbesatzung in erstklassiger Weise mit dem Flugkapitän zusammen, denn die Notwasserung musste mit den Passagieren vorbereitet werden und die schnelle Evakuierung war lebensnotwendig.
So konnte jeder seine Aufgabe in den dafür festgelegten Verfahren erfolgreich meistern.
Obwohl Copilot Skiles vergaß, ein Ventil an der Hilfsturbine zu schließen (die Checkliste war zu lang für die zur Verfügung stehende Zeit) und das Flugzeug deshalb sehr schnell voll Wasser lief, gelang es der Crew, alle Passagiere aus den hereinströmenden eisigen Fluten zu evakuieren.
Kapitän Sullenberger alleine wäre unmöglich in der Lage gewesen eine solche „Heldentat“ zu vollbringen. Trotzdem feierten die Medien und die meisten Menschen wieder nur ihn als den „Helden vom Hudson“.
Wesentlich dramatischer war die Situation im Cockpit bei Flugkapitän Haynes. Nur mit Hilfe des zufällig an Bord mitfliegenden DC-10-Fluglehrers Dennis E. Fitch gelang es der nun vierköpfigen Cockpit-Besatzung unter Leitung von Al Haynes, dieses 30-minütige Drama zu einem vergleichsweise glücklichen Ende zu führen. Weder vor diesem Unfall noch danach ist es bei einer derartigen technischen Fehlfunktion gelungen, auch nur einen einzigen Menschen lebend aus einer solchen Maschine herauszubekommen.
Auch hier war es die besondere Leistung des Flugkapitäns, die Cockpit-Crew zu einem perfekt funktionierenden Team zusammen zu schweißen.
Und nicht nur das! Haynes integrierte während des Dramas den anderen Flugkapitän, der – wie oben erwähnt – als Passagier zufällig auf diesem Flugzeug mitflog. Das gelang ihm so perfekt, dass die Teamleistung dadurch noch einmal erheblich gesteigert werden konnte.
Auch in diesem Fall war die eigentliche „Heldentat“ des Flugkapitäns nicht die in der Öffentlichkeit gefeierte fliegerische Glanzleistung eines Einzelnen, sondern seine Fähigkeit, in einer extremen Stress-Situation eine brillante Teamarbeit herbeizuführen.

Warum klaffen Realität und öffentliche Darstellung von derartigen Ereignissen so weit auseinander? Warum gieren wir danach, nur einzelnen Menschen solche Leistungen zuzuschreiben?

In der Tat wurden große Meilensteine, auch in der Luftfahrt, von einzelnen Menschen unter höchsten Risiken „heldenhaft“ erreicht.
Für das Fliegen mit Überschall-Geschwindigkeit und die Anfänge der Raumfahrt zeichnen solche Einzeltaten.
Doch diese Helden sind ganz anders als die beiden Kapitäne, von denen ich eben berichtet habe.
Aber auch sie entsprechen nicht immer unserem idealisierten Heldenbild vom heroischen Einzelkämpfer.
Trotz ihrer leicht narzisstisch geprägten Alpha-Mensch-Eigenschaften waren sie durchaus teamfähig. Das passt eigentlich nicht in unsere Vorstellung. Doch funktionierte diese Teamfähigkeit nur unter ihresgleichen. Das passt schon besser.
So konnte eine kleine Gruppe „verschworener“ Astronauten mit ihren Wünschen zur Gestaltung der Mercury-Raumkapsel, die NASA fast in den Wahnsinn treiben. Hier galt das Prinzip „Einer für alle – alle für einen“. Immer wenn die NASA anfing, Druck auf einen Astronauten auszuüben, drohten alle anderen, zusammen mit dem Betreffenden die Mission zu verlassen. So war die NASA häufig machtlos. Das hatte sicher gute Seiten, aber auch schlechte.
Diese Auslegung des Teambegriffs ist im Crew-Resource-Management ausdrücklich NICHT gemeint!



Doch wie gelang es den Forschern, im CRM den „Helden der Lüfte“ zu zähmen?


Der idealisierte Held wird in der Öffentlichkeit doch immer wieder allzu gerne eingefordert.
Die Umgebungsfaktoren stehen also nicht zum Besten.

Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb es außerhalb der Luftfahrt bis heute nicht gelungen ist, den unguten Heldentypus aus vielen Führungsetagen zu entfernen.

Alle am Crew-Resource-Management beteiligten Parteien, die wissenschaftliche Forschung, die Crews, die Luftfahrtunternehmen, die Luftfahrtbehörden und das Lehrpersonal ziehen an einem Strang.
Auch das ist einer der wesentlichen Faktoren warum mit dem CRM die Wandlung des Helden gelang.

Der Held wird also immer wieder gesucht.
So kam die Forschung, während der Einführung des CRM Ende der 1980er-Jahre zu der Erkenntnis, dass der Held im Cockpit nicht „getötet“ werden darf.

Tötet man den Helden, tötet man auch die Führungskraft.

Man musste den Helden aus seiner Einsamkeit befreien und ihm eine veränderte Umgebung für seine Heldentaten schaffen.
Die Forscher lenkten seinen Blick weg von den Einzelkämpfer-Leistungen, die ihn auszeichneten – auch in seinem Selbstbild – und fokussierten ihn auf das Team für seine Heldentaten.
Er bekam eine neue Rolle. Seine größten Heldenleistungen bestehen im
Crew-Resource-Management darin, das Team zu Höchstleistungen zu motivieren.
Natürlich braucht ein Held auch Anerkennung. Die bekommt er auch: von seinem Team!
Die Crew signalisiert ihrem Kapitän sehr schnell, dass sie gerne unter seiner Leitung arbeitet.
Doch nicht nur sie muss sich mit ihrem Kapitän wohlfühlen, sondern auch der Kapitän mit seiner Crew.
So dient die Kommunikation nicht nur dem rein fachlichen Austausch von Informationen, sondern hat auch großen Einfluss auf die Stimmung in der Crew.

Das Element Kommunikation ist im CRM die „Mutter des Gelingens“.

Sie hat eine zentrale Funktion im gesamten Crew-Resource-Management.
Da alle Crew Mitglieder in diesem neuen Arbeits- und Führungsmodell geschult sind, wissen auch alle, wie wichtig nicht nur ihre eigene Aufgabe ist, sondern auch die ihres Teamführers.
Umgekehrt ist es genauso.
Der einzigartige Erfolg des CRM beruht also auch auf der Erkenntnis, dass es Hierarchien und Führungspersönlichkeiten braucht.
Hier werden aus meiner Sicht bei vielen Veränderungsansätzen große Fehler gemacht!

Die Forschung setzt sich also sehr ausführlich mit dem Heldenbegriff auseinander, denn
wer den „Helden der Lüfte“ verändern will, muss ihn zuerst einmal verstehen.
Auch das übersieht man in vielen Unternehmen.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Buch „Helden der Nation“ (Link zu Amazon) von Tom Wolfe.
Dieser Doku-Roman wird auch häufig in der CRM-Fachliteratur erwähnt.
Die rasche Entwicklung der Nachkriegsluftfahrt und der Weltraumfahrt gab die perfekte Vorlage für die Typisierung eines klassischen Helden.
Der Autor beschreibt hier den Helden nicht nur, sondern dringt tief in seine Gedankenwelt und Beweggründe vor.
Wer dieses Buch aufmerksam liest, versteht, wie gefährlich das alte Heldenmuster in Führungspositionen werden kann.
Der einsame Held, wie wir ihn gerne mögen, lebt nämlich in einer speziellen Risiko-Welt.
In dieser Welt kommen eigene Fehler gar nicht vor!
Anders kam der klassische Held nicht damit klar, dass seine Überlebenschance – wie seinerzeit in der Testfliegerei und der Weltraumfahrt – maximal 4:1 betrug.
Es war eine Art Selbstschutzfunktion, die er in sein Gehirn einprogrammierte.
Er schloss für sich einfach aus, dass er morgen sterben könnte.

Genau dieser Typ Held saß bis Ende der siebziger Jahre häufig in den Cockpits moderner Verkehrsflugzeuge. Die Wahrscheinlichkeit gemeinsam mit ihm auf einer Reise zu sterben lag um ein Vielfaches höher als heute.
Auch der Niedergang ganzer Branchen und angesehener Unternehmen sowie der Tod vieler Patienten ist genau diesem alten Heldentypus geschuldet.

Es dauerte im Crew-Resource-Management etwa zehn Jahre, bis sich der neue Held in dem neuen Gerüst zurechtfand und sich so bewegen konnte, dass sein Ego nicht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde.

Auch die Helden der damaligen Zeit waren nicht dumm. Sie gehörten zur gesellschaftlichen Elite: sehr gut ausgebildet und mit ausgeprägtem Durchsetzungsvermögen ausgestattet.
Es war also sinnlos, sich ihnen einfach nur in den Weg zu stellen.

Nicht jeder Mensch will und kann Führungskraft sein.
Flugkapitän wird auch nicht jeder Pilot.
Viele wollen gar nicht ungeschützt im Wind an erster Stelle stehen. Letztlich werden von Führungskräften oft Entscheidungen abverlangt, die erhebliche Tragweite haben. Das ist auch im Cockpit so. Dazu bedarf es besonderer Eigenschaften.
Es ist nicht zielführend, in Veränderungsprozessen diese Eigenschaften grundsätzlich in Frage zu stellen oder zu zerstören.

Die Kunst des Crew-Resource-Managements war und ist, dass der alte Held sich im neuen Helden wiederfindet und wohl fühlt.

Das Ziel des neuen Helden ist der Teamerfolg und nicht die Einzelleistung.
Ein guter Chef im Cockpit wird von seiner Crew geliebt, genauso wie ein guter Chef im Unternehmen von seinen Mitarbeitern geliebt wird.
Dank des ständigen CRM-Trainings funktioniert eine Crew auch mit einem etwas anstrengenden Kapitän einigermaßen sicher. Doch nach dem Flug sagt sich die Crew: „Gut, dass wir den Tag erfolgreich beenden konnten. Hoffentlich fliegen wir nie wieder mit ihm.“ So etwas kommt auch in der Luftfahrt noch vor. Es wird aber immer seltener.

Das CRM bietet mit seiner über 30-jährigen Geschichte auch für Unternehmen und Kliniken die hervorragende Chance auf eine richtige und wohlwollende Veränderung der Führungs- und Arbeitskultur.
Der Chef darf darin ruhig der Held sein – ein Held, der mit seinem Team durch dick und dünn geht und umgekehrt.

Samstag, 3. November 2018

Live im Frühcafé – Crew-Resource-Management und unser Transfer in Unternehmen und Kliniken

Am 1. November war ich live bei Hamburg1 im Frühcafé bei Marco Ostwald und hatte die Gelegenheit, unseren Transfer des Crew-Resource-Managements vom Cockpit in Unternehmen und Kliniken zu schildern.


Marco Ostwald war mit seiner Kollegin Bianca Schmidt vor Kurzem bei uns im Cockpit und konnte dort die Einstiegsübung (Sensibilisierung für richtige Kommunikation, Führung, Entscheiden unter Druck, Stress und Fehlermanagement) für Führungskräfte kennenlernen.

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Wenn aus Fehlern fatale Fehlerketten werden – wie vermeide ich das?

Es dürfen keine Fehler passieren, die letztlich in einer fatalen Fehlerkette enden.

Das ist die zentrale Botschaft im Crew-Resource-Management der Luftfahrt und auch unsere Kernbotschaft für den Transfer dieses äußerst erfolgreichen Führungs- und Arbeitsmodells in Unternehmen und Kliniken.
Wie man das trainiert und was dafür wichtig ist – darüber sprechen Sylvia Ostermann und ich im zweiten Gespräch bei uns im Cockpit.

Samstag, 6. Oktober 2018

Erfolgreich digitalisieren – der Mensch ist die Herausforderung

Diese, teils schmerzliche Erfahrung, hat die Luftfahrt gemacht, als Ende der 1980er Jahre die ersten volldigitalisierten 2-Mann-Cockpits in den Linienbetrieb gingen.

Man hat maximale technische Zuverlässigkeit hergestellt und, in jahrelangen, intensiven Tests alle nur denkbaren Szenarien in die Bordcomputer einprogrammiert.

Der Mensch brauchte dann nur wenige Flugmeilen, um das ganze Modell in Frage zu stellen.
Das Crew-Resource-Management war vor seine zweite große Herausforderung gestellt.


Das ausführliche Video in voller Länge sehen Sie bei YouTube

Für alle, die zum Thema noch etwas mehr lesen möchten, empfehle ich meinen Blogartikel

Mittwoch, 15. August 2018

Wieviel Fehler kann sich Ihr Unternehmen noch leisten?



Tauchen sie in meinen Vorträgen mit mir in die Welt des erfolgreichsten und fehlerärmsten Führungs- und Arbeitsmodells ein – dem Crew-Resource-Management (CRM) der Verkehrsluftfahrt.
Entdecken auch Sie die Transfermöglichkeiten dieser wissenschaftlich fundierten und praxiserprobten Führungs- und Arbeitsmethode für Ihr Unternehmen.



Meine Themen sind Ihr Alltag, durch meine Erfahrung kenne ich Ihre Herausforderungen.

Dienstag, 19. Juni 2018

Die Gefangenschaft im „ist“

Veränderungen treibt der Mensch nur dann voran, wenn ihn eine klare und positive Perspektive motiviert. Das ist bekannt und hinlänglich erforscht.

Leider bezieht sich diese Motivation immer auf die eigene Person, also nicht auf das Unternehmen oder die Gesellschaft. Hier nützt auch das Wissen nichts, dass diese Veränderung, der Sache wegen, dringend notwendig ist – auch nicht neu.

Wir leben in der Dominanz des „Ist“. Das „Ist“ entwickelt eine eigene Kontrollzone.
Dinge und Abläufe werden selbstverständlich und Routine. Dieses Phänomen entdeckte schon der bekannte Fehlerforscher James Reason bei seinen Forschungen über die Ursachen fehlerhafter Handlungen.
Er beschreibt, wie Objekte eine eigene Kontrollzone des Handelns entwickeln, obwohl die Handlung selbst manchmal gar nicht beabsichtigt ist oder zum Ziel führt.



Es gibt zwei neue Begleitumstände in unserer Gesellschaft, welche die Folgen aus dieser Erkenntnis erheblich verschärfen:
  1. Durch die intensive Nutzung sozialer Medien, in nahezu allen Bevölkerungsgruppen, betonen wir das „Ist“ über.
 Was wir früher ein Mal am Tag in den Nachrichten gehört oder in den Zeitungen gelesen haben, konsumieren wir heute zigmal täglich. Die Information prägt sich dadurch viel intensiver ein. So entstehen Hypes des „Ist“, die uns den Fokus auf die Zukunft noch mehr verengen.
  2. Früher gab es eine kleine Zahl gut ausgebildeter Journalisten – die durch Verlage oder Sendeanstalten kontrolliert – ihre Beiträge einigermaßen gut recherchierten. Gelang das mal nicht (z.B. Hitler Tagebücher) wurde das zu einer breit wahrgenommenen Nachricht.
 Heute fluten Informationen mit unkontrolliertem Wahrheitsgehalt die sozialen Medien und wir konsumieren sie nahezu pausenlos.
 Ich habe mir mal die Mühe gemacht, zwei Wochen lang Nachrichten aus mir seriös scheinenden Quellen auf inhaltliche Richtigkeit zu prüfen. Das Ergebnis war erschreckend.
 Bei gut 80% der Inhalte habe ich schwere inhaltliche Fehler oder massive, sinnverfälschende Übertreibungen festgestellt.
 Dabei trat noch eines zu Tage: der Hype nährt sich selbst (größer, noch größer am größten ...)
 Warum ist das so? 
Heute schreibt in den Medien jedermann, selbsternannte Experten, Ideologen und Hobbyjournalisten. Sie brauchen Aufmerksamkeit, nur das sichert ihre Existenz.
 So entstehen Fake-News oft nur aus Sensationslust oder ideologischer Verblendung.
Diese Überwahrnehmung des „Ist“, gefüttert mit einem Bild der Wirklichkeit, das oft nicht der Wahrheit entspricht, ist die neue Gefahr. Die Bereitschaft, uns mit Zukunftsperspektiven ernsthaft, in Ruhe und unvoreingenommen zu beschäftigen sinkt dadurch noch mehr. Das trifft auf jede Bevölkerungsgruppe und jeden Bildungsgrad zu.

Dazu kommt die Trägheit des Wohlstands, die uns müde werden lässt. Unbequemlichkeiten auf uns zu nehmen und Dinge in Richtung Zukunft, mit Weitblick, zu gestalten, ist irgendwie out.
Wir lassen Entwicklungen einfach geschehen, obwohl wir wissen, dass sie uns nicht zum Ziel führen.
Kommt dann noch jemand und sagt, dass diese (Fehl-)Entwicklung doch verständlich ist und vielleicht auch richtig, dann werden die Gitterstäbe des „Ist-Gefängnis“ noch fester.
Besonders gefährlich ist es, wenn eine breite Gruppe (auch etablierter Medien) noch in diese Hörner bläst, mit welcher Motivation auch immer.
Aus Politik und Wirtschaft kann ich Ihnen viele Beispiele dazu nennen.

Doch wie zerbrechen wir diese Gitterstäbe unserer „Ist“-Gefangenschaft?

Mit dem Crew-Resource-Management (CRM) der Verkehrsluftfahrt ist das gelungen, nachdem Forscher die entscheidende Voraussetzung dafür gefunden haben:
die Umgebung psychologischer Sicherheit.

Nur ohne Angst vor den Risiken zwischenmenschlicher Beziehungen kann offene Kommunikation und Austausch gedeihen. Nur so liefern Andersdenkende Beiträge zu Aufgabenstellungen, auf die im Dunstkreis der eigenen Kontrollzone bisher niemand gekommen ist. Nur so werden Fehler offen benannt und für die Zukunft daraus gelernt.

Wie schwer uns das fällt, ohne Vorurteil und vorschnelle Bewertung zu agieren, erlebe ich bei Managertrainings im Cockpit-Simulator bei der ersten Übung zur Entscheidungsfindung fast jedes Mal.
Hier ist es die Aufgabe, unter Druck, den ich authentisch entstehen lasse, eine Entscheidung zu treffen. Das Team soll die FORDEC-Methode anwenden.
Das heißt, mit allen Teammitgliedern zunächst die Fakten nennen, dann alle Optionen ohne Bewertung sammeln und als drittes eine Risikoabwägung durchführen. Das Ganze soll der Kapitän moderieren, der zuvor ernannt wurde.

Obwohl dieses Procedere wenige Minuten vorher am Tisch besprochen und für gut befunden wurde, gelingt es beim ersten Mal niemandem!
Fakten werden mit Optionen vermischt, Bewertungen mit Fakten und so weiter.
 Dabei gibt es meist einen Wortführer – der oft nicht der ernannte Kapitän ist.
Das Ende vom Lied ist: die richtige Entscheidung wird innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht gefunden.

Erst mit meiner Moderation, streng am FORDEC-Modell, erreicht das Team die Lösung, die dann der Kapitän als Entscheidung – fast immer einvernehmlich – nennen kann.

Und – unabhängig ob dort eine erfahrene Vorstandsgruppe oder ein Nachwuchsmanager-Team am Zuge ist: alle reagieren nahezu gleich.

Der Mensch muss die richtigen, zukunftssichernden Verhaltensweisen des Miteinanders trainieren, denn sie sind ihm, wie oben geschrieben, nicht in die Wiege gelegt. Und sie bestimmen auch nicht unseren Umgang mit dem täglichen „Ist“.

Piloten und Ihre Crews trainieren das, mehrmals im Jahr.
Das Trainieren und Reflektieren von Verhaltensmustern als Teamleader und Teammitglied ist genauso Teil ihres Berufslebens, wie ihr reines Fachwissen, ein Flugzeug zu fliegen oder zu versorgen.

Erst als diese Erkenntnis der CRM-Forscher im Arbeitsalltag von Crews umgesetzt wurde, ist die Luftfahrt den entscheidenden Schritt in ihre sichere Zukunft gegangen.

Fangen Sie noch heute an aus der Gefangenschaft des „Ist“ auszubrechen!

Quellen:

James Reason – A Life in Error (2013)

Freitag, 25. Mai 2018

Psychologische Sicherheit ist DER Erfolgsfaktor für Teams

Googles Teamstudie 2015 bestätigt: Psychologische Sicherheit ist der entscheidende Erfolgsfaktor.

Nur eine angst- und bestrafungsfreie Umgebung, ohne Schuldzuweisungen (so ist psychologische Sicherheit definiert) schafft eine effiziente und fehlerarme Arbeits- und Lernzone.
Schon 1999 kam die weltweit anerkannte Teamforscherin Amy C. Edmondson in ihren Studien zu dem gleichen Ergebnis.

Die dazu notwendigen Verhaltensmuster sind uns nicht in die Gene gelegt. Schon gar nicht prägen sie unser gesellschaftliches Zusammenleben.

Es war der eiserne Wille von ganz oben, der mit dem Crew-Resource-Management (CRM) in der Luftfahrt vor mehr als 30 Jahren den Grundstein für ein bisher einzigartig fehlerarmes und effizientes Führungs- und Arbeitsmodell legte.

Die Bosse der größten Airlines ordneten zu Beginn der 1980er-Jahre, von den Behörden maßgeblich unterstützt, die Umsetzung einer grundlegend neuen Führungskultur in Cockpit und Kabine an – zunächst gegen den Willen der Kapitäne.
Human Factors wurden mehr und mehr Bestandteile von turnusmäßigen Checks der Cockpitbesatzungen.
Auch in die Erstausbildung junger Piloten wurde es integriert.
Später kamen Kabinencrews und andere Aktive in der Verkehrsluftfahrt dazu.
Flugkapitäne brauchen heute bei den meisten Airlines eine zusätzliche Qualifikation zum Führen von Menschen.
Erst nach und nach wuchs die Einsicht der Chefs im Cockpit, dass ihnen das CRM nützt und nicht schadet.
Oberste Voraussetzung für effektive und fehlerarme Arbeit ist psychologische Sicherheit.
Darüber sind sich alle Team- und CRM-Forscher einig.

Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass psychologische Sicherheit und Vertrauen flüchtige Güter sind. Sie müssen nicht nur hergestellt, sondern auch gepflegt werden. Dazu gehört regelmäßiges Training, auch für die Verhaltensweisen von Führungskräften.

Die wenigsten Führungskräfte lernen und trainieren das Führen. Viele Führungskräfte können nicht gut führen, obwohl sie den Willen dazu haben.
Ihnen fehlt Wissen, Verstehen und Training.
Die Zahlen, unter anderem zu inneren Kündigungen, Krankenständen, Fluktuation und Innovationsmangel, spiegeln das wider.
Es ändert sich zurzeit im DACH-Raum in dieser Hinsicht nichts zum Guten.
Es fehlt fast immer die Voraussetzung, nämlich psychologische Sicherheit.

Der überstrapazierte Begriff der Wertschätzung mutiert meistens zu wertlosen Freundlichkeiten. Die reichen bei Weitem nicht, um eine leistungsfähige und sichere Teamatmosphäre herzustellen. Konflikten wird ausgewichen, das Wetter oberflächlich schöngeredet.
HR verkommt nicht selten zu einer Konfetti-Stabsfunktion, ohne wirklich positive und nachhaltige Wirkung im Unternehmen.
Die Botschaften bleiben ohne Gefolgsleute in den entscheidenden Etagen.

Erst die gemeinsame Überzeugung, dass alle Team-Mitglieder wirklich sicher sind, gefahrlos zwischenmenschliche Risiken einzugehen und Konflikte riskieren zu können, stellt den Zustand der psychologischen Sicherheit dar.
Das betont schon die Studie von Amy C. Edmondson 1999. Neu ist diese Erkenntnis also nicht.

In ihrem neuen Buch „Extreme Teaming“ beschreibt sie exakt die notwendigen Verhaltensweisen, Aufgaben und Regeln des Teamleaders, um diese Sicherheit auch in extremen Situationen zu ermöglichen.
Eine Führungskraft ist plötzlich nur noch wenig Fachkraft, sie führt hauptsächlich Menschen. Und genau für diese Fähigkeiten ist sie nicht oder nicht hinreichend geschult und trainiert – oft auch nicht richtig ausgewählt.

In der gesamten modernen Teamforschung dominieren US-Forscher und US-Unternehmen das Feld. Speziell Deutschland kann bisher kaum liefern, außer Konfetti.

Gehören Sie zu den ersten Gesellschaftern, Unternehmern und Vorständen, die das ändern – wie damals die Airline Bosse!
Ihr nachhaltiger Erfolg, auch wirtschaftlich, ist Ihnen gewiss!

Quellen:

[Google (2015) https://rework.withgoogle.com/blog/five-keys-to-a-successful-google-team] Ergänzung am 5.8.2025: Leider ist diese Seite nicht mehr online. Google hat die Inhalte nun in diese Seite gegossen: https://rework.withgoogle.com/en/guides/understanding-team-effectiveness

Edmondson, A. (1999) Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams, Administrative Science Quarterly, Administrative Science Quarterly 44, 350–383.

Edmondson, A. C., and Harvey, J.-F. (2017) Extreme Teaming: Lessons in Complex, Cross-Sector Leadership, Emerald Publishing Limited, Bingley, UK.

Mittwoch, 16. Mai 2018

Die IT – und der Rest der Welt

Eines der größten Spannungsfelder, die ich in meiner Tätigkeit erlebe, liegt zwischen IT und den restlichen Abteilungen im Unternehmen. Das betrifft nahezu jede Branche.
Die Spannung nimmt mitunter dramatische Ausmaße an, die sogar eine Auslagerung der IT ins Gespräch bringen, womit viele Arbeitsplätze verloren gehen würden.
Bisher konnte ich den Entscheidern immer genug Argumente liefern, die diesen Schritt verhindert haben. Denn: Er löst das Grundproblem dieser Spannungen nicht.

Wie im Crew-Resource-Management (CRM) bestimmen auch hier zwei Elemente über Gelingen oder Nicht-Gelingen:


  • Kommunikation
  • Entscheidungsfindung

Der Grundstein für eine nicht funktionierende Kommunikation wird oft schon innerhalb der Führungsstruktur der IT gelegt. Ihre Führungskräfte sind ausgewählt und aufgestiegen, weil sie fachlich herausragend waren.
Mit der Führung von Menschen sind sie nicht selten überfordert.
So kommt es schon innerhalb der IT durch Kommunikations-Probleme zu Stress, der „nebenbei“ noch die Fehlerquote erhöht.

Der größte Kommunikationsbruch entsteht im Austausch mit den anderen Abteilungen.
Der Sender versteht den Empfänger nicht, man kommuniziert in verschiedenen Sprach- und Denkwelten.
Die Kommunikationswissenschaft weiß seit Langem: Sendet der Sender nicht auf Empfängerebene, verhallen die Signale unverstanden im Raum.



Es sind meistens die Führungskräfte auf beiden Seiten – der IT und der jeweils betroffenen Abteilung oder Geschäftsleitung – , die die notwendige Empfängersprache nicht „gelernt“ haben.
Die daraus resultierenden Missverständnisse führen zu Konflikten und falschen Entscheidungen. Eskalierender Stress und Misserfolg sind vorprogrammiert.

Das ist aus meiner Erfahrung auch der Hauptgrund, weshalb sich Unternehmen jeder Größenordnung mit der sogenannten Digitalisierung schwertun. Der Übergang von der Geschäftsidee oder Vision zur technischen Umsetzung scheitert auf vielen Ebenen.
Die Signale aller Beteiligten können nicht nutzbringend ausgetauscht werden, weil jede Seite in ihrem Gedankenraum bleibt. Sie kennt den Stuhl der anderen Seite nicht und weiß auch nicht, wie es sich dort sitzt.
Dieses Silodenken erlaubt daher nur einen sehr langsamen Fortschritt, mit viel Kollateralschaden.
Größere Unternehmen suchen den Ausweg in einem Chief Digital Officer oder Ähnlichem.

Nicht selten steigert er das Problem noch, da auch er meistens auf Grund seiner fachlichen Qualifikation ausgewählt wurde. Die Silos bleiben verschlossen.

Wie sieht eine praktische Lösung für dieses gravierende Problem aus?


Ideal sind sicher Führungskräfte, die genau auf dieser Kommunikationsbrücke zuhause sind.
Sie sind fachlich und gedanklich in beiden Welten präsent: In ihrer eigenen und der ihres Gegenübers.
Doch diese Aussage hat die gleiche praktische Qualität wie der Wunsch, dass Krebs endgültig besiegt sein sollte.
Mit Idealen fängt man nicht an, sie sind das Ende eines zeitlich nicht immer vorhersehbaren Weges, der zudem einige unbekannte Terrains zu bewältigen hat.

Als Trainer, Manager und Mediator suche ich in der Analyse der Baustellen zunächst die verfügbaren Ressourcen. Sie sind oft gar nicht so schlecht oder rar, wie es mir anfangs geschildert wird.
Danach kommen Grundsatzgespräche mit Vorstand und Geschäftsführung.

Stellen sie die nötigen Ressourcen (personell, finanziell, zeitlich ...) nicht klar zur Verfügung, muss ich leider passen.

Erst dann geht es in die Teamfindung.
Teams darf man nicht zusammenzwingen.
Diese Erkenntnis ist Stand der modernen Forschung rund um das „Teaming“ für solche Projekte.

Die Teams müssen die Vision verstehen und für erstrebenswert halten. Dafür sind die Teamleader verantwortlich.
Dann geht es an die Detailarbeit.
Der operative Weg wird begonnen, Unter-Ziele werden gesucht, die wiederum jedes Teammitglied als wichtig und richtig erkennt. Das ist enorm relevant, sonst funktioniert das Team nicht!


Hier empfehle ich gerne das aktuelle Buch der renommierten Teamforscherin Amy C. Edmondson „Extreme Teaming“. Sie zeigt das Modell auf, das sie bei erfolgreichen Projekten dieser Art herausgefiltert hat.

Meine Aufgaben in solchen Projekten sind klar:

Herbeiführen und Bewahren der wichtigsten Voraussetzung überhaupt:
Der psychologischen Sicherheit aller Beteiligten.

Ferner:
Konflikte beseitigen; wo nötig, „Übersetzer“ in die Empfängersprache sein und Entscheidungen an den Stellen herbeiführen, wo Entscheidungen getroffen werden müssen.

Die Teams brauchen Führung und die stelle ich immer wieder sicher.

Teams müssen dann und wann fachübergreifend miteinander arbeiten, um neue Ideen oder Lösungsmöglichkeiten zu bekommen. Diese Momente erkenne ich und „stupse“ die Teamleader an, wenn nötig.
Dabei hilft mir die Lehr- und Arbeitsmethodik des Crew-Resource-Managements (CRM) sehr. Darin sind fast alle nötigen Regeln und Verhaltensmuster definiert.
Die Luftfahrt hat nämlich genau diese Herausforderung immer wieder zu meistern, und muss dafür ständig im Lern- und Trainingsprozess bleiben.
Richtig deutlich wurde die Aufgabe mit der Einführung digitaler Cockpits und der konsequenten Reduzierung auf 2-Mann-Cockpits.

Mit dem CRM ist das in allen operativen Bereichen bisher glänzend gelungen. Die Luftfahrt ist der fehlerärmste und sicherste Arbeitsplatz der Welt!
Mit dieser Vorgehensweise werden aus Visionen neue Dienstleistungen oder Produkte, und aus langsamen, sich oft im eigenen Saft drehenden Prozessen, schnell lernende schlanke Organisationsformen.

Ich gehe sogar noch weiter: Auf diese Art gewinnen Sie zukunftsweisende Ideen, wo Ihnen Visionen im Unternehmen bisher fehlen. Das entscheidet wesentlich über Ihren Fortschritt und Ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Nein, Sie sollten nicht zum Arzt gehen, wenn Sie Visionen haben. Diese Ansicht hat ihre fragwürdige Gültigkeit verloren.
Was Sie jedoch brauchen sind die richtigen Voraussetzungen, das heißt, klare Führungs- und Arbeitsmodelle.

Samstag, 24. Februar 2018

Digitalisierung – der falsche Fokus

Eine der wichtigsten Erkenntnisse die uns alle in der Luftfahrt betreffen ist, dass Veränderungen und technische Innovationen unsere ständigen Wegbegleiter sind.
Unsere erste Landebahnbefeuerung waren Kerosinlaternen. Radiokompass, Morsezeichen und Karte wurden zu modernen Funkfeuern und hochpräzisen Instrumentenlandesystemen für automatische Anflüge ohne Sicht.
Von starren, schweren Tragflügeln und rauchenden, oft versagenden Kolbenmotoren entwickelte sich die Luftfahrt zu effizienten, fehlerarmen Turbinentriebwerken und modernen flexiblen Tragflächenkonstruktionen.
Über den Fortgang immerwährender technischer Veränderungen gibt es nichts Neues zu berichten.

Linda and Harry W. Orlady* (1990)
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Fengler

*Maßgeblich an der Entwicklung des Crew-Resource-Management (CRM) beteiligte Human-Factor Forscher und Autoren mehrerer Standardwerke des CRM. Vater und Tochter sind nicht nur weltweit anerkannte und nachgefragte Human-Factor Spezialisten, sondern auch erfahrene Flugkapitäne.



Wir doktern am Hype der Digitalisierung herum, obwohl sie nichts anderes ist als technischer Fortschritt.
Technischer Fortschritt hat in Wellen schon immer zu neuen Arbeitsorganisationen und Herausforderungen für Führungskräfte und Mitarbeiter gesorgt.
Das fing mit der Industrialisierung an, setzte sich über die Automatisierung in den 1960er Jahren fort und mündet zurzeit in der Digitalisierung seit Anfang der 1980er-Jahre.
In dieser Zeit entstanden Gewerkschaften, Industriegesellschaften und Führungsmodelle (z.B. das Harzburger Modell in den 1960er-Jahren).
Durch die Globalisierung und die damit einhergehende, deutliche Beschleunigung von wirtschaftlichen Prozessen sind die bisher angewandten, starren formal-hierarchischen Führungsmethoden nicht mehr wettbewerbsfähig.
Sie sind schlicht zu langsam, zu ideenarm und zu fehlerbehaftet.

Letzteres führte vor 30 Jahren in der Luftfahrt zur Entwicklung des Führungs- und Arbeitsmodells CRM.
Weltweit führende Wissenschaftler und Psychologen kamen dabei im Rahmen der Human-Factor Forschung niemals auf das Ergebnis, dass der technische Fortschritt an sich irgendein Problem darstellt - es ist immer das Verhalten und der Umgang der darin involvierten Menschen.
Hören wir also auf, ständig mit Drohgebärden und inhaltslosen Buzzbegriffen über die sogenannte Digitalisierung zu sprechen. Hören wir auf über die Technik an sich zu sprechen.
Sie erfordert notwendiges Fachwissen, mehr oder weniger.

Sprechen wir über das Verhalten von Menschen, die Regeln des Umgangs miteinander und die Anforderungen an die Kommunikation zwischen Mensch-Mensch und Maschine.

Genau mit dieser Vorgehensweise hat das CRM seine unvergleichliche Erfolgsgeschichte geschrieben, ganz ohne Buzzwörter und Fokus auf irgendeine Technologie.

Freitag, 23. Februar 2018

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Das Crew-Resource-Management (CRM) ist der Schlüssel für Sicherheit und Effizienz in der Luftfahrt der letzten 30 Jahre.
Es gilt als das weltweit fehlerärmste und effektivste Führungs- und Arbeitsmodell.



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CRM informiert. Auch halten wir Sie über unser Angebot zu Seminaren und Coachings auf dem Laufenden.
Wir arbeiten stets den neuesten Stand der wissenschaftlichen CRM-Forschung in unsere Trainings ein.

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Donnerstag, 14. Dezember 2017

Als das dümmste Crew-Mitglied an Bord kam...

...der Computer.



In der Luftfahrt gab es eine Zeit, in der das ansonsten schon so erfolgreiche Crew-Resource-Management (CRM) nochmal auf eine harte Probe gestellt wurde.

Mit dem ersten voll computerisierten Cockpit im Airbus A320, Ende der 1980er-Jahre, stieg die Zahl der Unfälle durch menschliches Versagen wieder an.
Gleich 1988, bei der Vorführung des völlig neuartigen Jets auf einer Flugschau an der deutsch-französischen Grenze, verwirrten die Computer die Cockpitbesatzung derart, dass sie die Kontrolle über die Maschine verloren. Das Flugzeug rauschte in den Wald und brannte aus, 3 Menschen starben.

Die Probleme und Herausforderungen der Digitalisierung im Cockpit beschreibe ich ausführlich in einem anderen Artikel.

Und es ging so weiter. Fast jedes Jahr Abstürze durch menschliches Versagen in Computer-Cockpits. Betroffen waren fast alle Airlines.

Was lief auf einmal falsch im bisher so erfolgreichen CRM-Prozess?

Ende der 1990er-Jahre ergriff, in enger Zusammenarbeit mit der damals noch existierenden, großen US-Airline Continental, einer der Väter des CRM, der namhafte Psychologe Robert Helmreich die Initiative, um unter anderem diesem Phänomen in Computer-Cockpits auf den Grund zu gehen.

Bisher sammelte man für das Fehlermanagement im CRM hauptsächlich Daten von Zwischen- und Unfällen im damals noch jungen ASRS (Aviation Safety Reporting System), wertete diese präzise aus und entwickelte daraus Empfehlungen und Anweisungen für die Luftfahrt.

Schon immer war die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA eng in die CRM-Entwicklung involviert, so auch bei der Gestaltung und Weiterentwicklung des ASRS.
Also war es schon fast selbstverständlich, dass auch jetzt, mit dem neuen Projekt der Wissenschaftler, die FAA von Anfang an mit im Boot saß und dem Projekt offiziellen und finanziellen Schub verlieh.

Es war die Geburtsstunde des LOSA. Die Abkürzung steht für Line Operations Safety Audit und ist ein weiterer Meilenstein in der Luftfahrtsicherheit (Qualität).
Damit entwickelte sich aus dem Fehlermanagement das TEM (Thread an Error Management). DER Verdienst des LOSA.
Man wollte sich in Zukunft nicht nur mit gemeldeten Fehlern aus dem ASRS zufriedengeben, sondern Daten über mögliche Gefahren sammeln, die (noch) zu gar keinem Fehlerreport oder Unfall geführt haben.

Prof. Helmreich und sein Weggefährte Dr. James Klinect gründeten für das LOSA an der Universität Austin (TX) ein eigenes Institut. Es sammelt Daten über einen definierten Zeitraum im ganz normalen Flugbetrieb von Airlinern und wertet diese aus.
Unterstützt werden diese Audits jeweils von ganz oben, der FAA sowie den CEOs der großen Airlines.

Folgende wesentliche Voraussetzungen sind für den Erfolg und die Akzeptanz von LOSA bei den Crews nötig:
  • Nicht das einzelne Crew-Mitglied soll im Handeln beobachtet werden, sondern der Handlungsablauf der gesamten Crew im Rahmen der festgelegten Verfahren.
  • Die Daten werden streng anonym gesammelt und haben keinerlei negative Auswirkungen oder Folgen auf das einzelne Crewmitglied oder die Airline.
  • Speziell ausgebildete, auf die LOSA-Datensammlung trainierte Flugkapitäne nehmen diese Erfassung unkommentiert vom „Jump-Seat“ wahr.
  • Die Erkenntnisse daraus sind öffentlich zugänglich.
  • Das Audit hat einen definierten Zeitraum über maximal einige Wochen.
Betrachtet wurden alle Prozesse im Cockpit, die mit einem Flug in Zusammenhang stehen.

So auch die Kommunikation mit der Flugleitstelle (ATC) und die Interaktion mit den Bordcomputern.

Die Daten werden vor der Auswertung nochmal von Spezialisten der Airline und Hersteller verifiziert. Es sind reine Daten aus Human Factors, keine technischen Daten.

Denn: Human Errors waren zu 80 % die Ursache von Flugzeugkatastrophen.

Die Datenflut aus dem normalen Flugbetrieb und ihre sehr sorgfältige Auswertung brachten dem CRM nochmals sehr wertvolle Ergänzungen und komplett neue Erkenntnisse.

Das betrifft vor allem die Zusammenarbeit von Menschen mit Computern.

Damit wurden unter anderem zwei entscheidende Irrtümer in der Entwicklung von Hard- und Software aufgedeckt und korrigiert.
Beide waren Hauptursachen von Flugzeugkatastrophen mit vielen Toten:
  • Der Mensch muss sich nicht dem Computer anpassen, sondern der Computer dem Menschen.
(Diese Usability-Erkenntnis deckt sich zu 100% mit den Erkenntnissen von Don Norman und Jakob Nielsen, siehe meinen Artikel vom Juli 2017)
  • Der Computer besitzt keine Intelligenz, auch keine künstliche – egal wie hoch er entwickelt ist! Computer sind dumm, so eine deutliche Überschrift im LOSA.
 Computer können weder Absichten erkennen noch die Situationsübersicht haben. 
Computer sind von Sensoren abhängig, die den menschlichen Sinnen nicht mal annähernd das Wasser reichen können.



Das aus dem LOSA entstandene Schema des Thread and Error Managements (TEM) zeigt, wie heute das Sicherheitsmanagement in der Verkehrsluftfahrt funktioniert.
Es hat Mensch und Computer im Cockpit zu einer einzigartig fehlerarmen Zusammenarbeit und Effizienz geführt.

LOSA könnte ein Vorbild für jedes Qualitätsmanagement sein und Unternehmen sowie Kliniken neue Welten eröffnen.

In den USA ist man in Kliniken schon weit fortgeschritten damit. In Europa, und speziell in Deutschland, steckt das Thema noch in den Kinderschuhen.
In Unternehmen ist es, bis auf wenige Ausnahmen, überhaupt noch nicht angekommen.

Das Wissen existiert und ist jedermann öffentlich zugänglich, seit fast 20 Jahren.

Gerade bei den schnell wachsenden Herausforderungen der Digitalisierung kann die Luftfahrt ein exzellentes Vorbild sein.

Denn: setze Sicherheit=Qualität und der Transfer ist fast 1:1 möglich.

Quellen:

Kanki, B. G., Helmreich, R. L., and Anca, J. (2010) Crew Resource Management, Second Edition, Elsevier, Amsterdam.

Sonntag, 19. November 2017

Fatale Fehlerketten sicher vermeiden geht nur mit qualifiziertem Training

10 Tage im Jahr bin ich selbst im Training und Checks, auch in Sachen Crew-Resource-Management.
Dabei begeistert mich immer wieder die hervorragende Methode der Training-Designs. Die Trainings und Checks werden ständig nach dem Advanced Qualification Program (AQP) weiterentwickelt.
Es dient auch als Vorlage für unsere Training-Designs in Manager-Seminaren und Trainings im Cockpit.
In meinem nächsten Artikel berichte ich über die Grundsätze dieser in der Welt bisher einzigartigen Programm-Methode in der Luftfahrt.
Nur so bin ich in der Lage, auch in relativ hohem Alter, selbst ohne Copiloten, in hochkritischen Krisensituationen fatale Fehlerketten und stressbedingte Überforderung sicher zu vermeiden.


Was hat das mit Managern zu tun?


Folgender erlebter Fall in einem Unternehmen:

Ein Großkunde mit über 20% Umsatzanteil fällt wegen Insolvenz plötzlich aus und hat zudem noch größere offene Rechnungen.

Im Cockpit habe ich bzw. die Crew wenige Minuten die Sache in den Griff zu bekommen, im Unternehmen wenige Tage bis Wochen.
Das Handlungsprinzip jedoch ist das gleiche...

Samstag, 11. November 2017

Was ist eine flache Hierarchie?

Die Frage ist simpel, denken Sie?
Leider wird sie jedoch oft unvollständig beantwortet und behandelt.



Nur weil Hierarchie-Ebenen wegfallen, ist die Hierarchie zwischen Führungskraft und Mitarbeitern noch lange nicht flach.


Hierarchien haben nicht nur einen organisatorischen Ansatz

Das Crew-Resource-Management (CRM) hat die Elemente "Führen" und "Hierarchie" im Kern erforscht und Antworten gegeben.
Das Augenmerk richtet sich dabei nicht auf die Organisation der Crew, sondern auf das Verhältnis der Beteiligten untereinander.
Letztlich kam es darauf an, aus dem „Helden der Lüfte“, dem Kapitän, einen effizienten und anerkannten Teamführer zu machen.
Nur damit konnte man die Ursachen für fatales Teamversagen (Auslöser von über 80% aller Flugzeugabstürze) erfolgreich abstellen.
So war vor dem CRM im Cockpit die Hierarchie zwischen Kapitän, 1. Offizier und Crew oft so steil ausgeprägt, dass jede offene Kommunikation unmöglich wurde.
Das Teamversagen im Flugzeug war durch falsches Fehlermanagement definiert, ausgelöst durch eine Hierarchiebarriere.
Diese Barriere blockierte nicht nur die Kommunikation, sie führte auch zu falschen, bauchgesteuerten Entscheidungen, erhöhtem Stress und eben dann und wann zum tödlichen Ende einer Fehlerkette.

In meinen Trainings und Seminaren erkläre ich es ja gerne einfach und auf Deutsch ;)




„Eine funktionierende, flache Hierarchie erkennen Sie in der Praxis, wenn Meinungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter angstfrei und vertrauensvoll ausgetauscht werden.

Fehler werden offen besprochen, ohne Furcht vor Bestrafung und Suche nach dem Schuldigen. Das gilt auch für die Fehler der Führungskraft selbst!
Die Führungskraft befindet sich mit den Geführten in einer Atmosphäre der psychologischen Sicherheit.“

Quellen:

Kanki, B. G., Helmreich, R. L., and Anca, J. (2010) Crew Resource Management, Second Edition, Elsevier, Amsterdam.

Hackman, J. R. (2002) Leading Teams: Setting the Stage for Great Performances, Harvard Business Press, Boston, Massachusetts