Vor kurzem war es wieder soweit – ein Stress-Coaching mit einem Krisenmanager im weltweiten High-Risk-Geschäft und einer Unternehmerin. Beide kennen sich sehr lange. Diese Trainings kann ich nicht zuverlässig planen, da ich die Teilnehmer nur durch ein Briefing kenne und die Missions im Cockpit daher große Unbekannte enthalten.
So „erwischte“ es mich an diesem Tag als Trainer gleich zweimal.
Vorweg für Sie noch ein paar Informationen, die das Verstehen der beiden folgenden Ereignisse erleichtern:
- Wir fliegen immer in echten Szenarien (Echtzeit, Echtzeitwetter etc.)
- Absturz ist ein „no go“ für mich, Abbrechen der Mission auch
- Der oder die Teilnehmer bleiben immer eingebunden, egal was passiert
Kommen wir zum ersten Fall
Wenn FOR-DEC Leben rettet und Erfahrung Gold wert ist
Es war der zweite Flug an diesem Tag, von Berlin-Tegel nach Hannover. Auf dem Kapitänssitz, links, saß die Unternehmerin und machte ihre Aufgabe ordentlich.
Im Stress-Coaching 1:1 oder 1:2 sitze ich immer auf dem Platz des 1. Offiziers und erzeuge eskalierenden Stress.
So ließ ich nach etwa 10 Minuten, gerade auf der Reiseflughöhe von knapp 6.000m angekommen, das linke Triebwerk in Flammen aufgehen.
Warnhörner schrillten los, rote Meldungen an mehreren Stellen, rot blinkende Master- und Fire-Warning.
Autopilot aus, „you have control“ rief ich laut nach links. „fly the aircraft first“ kam von mir als Hinweis gleich hinterher.
Nächste Ansagen: Flughöhe halten, Geschwindigkeit auf 300 Knoten reduzieren, aktuellen Kurs halten.
Ich merkte, wie die Hand der Teilnehmerin am Sidestick leicht verkrampfte, ihre Sitzposition angespannt wurde und der Blick starr am Flight-Director klebte. Ich ging die Emergency Checkliste durch, stellte das Triebwerk ab und löschte das Feuer.
„Feuer gelöscht, Triebwerk stillgelegt, Verfahren abgearbeitet, Notmeldung abgesetzt. Autopilot wieder einschalten“ meldete ich vom rechten Sitz.
Leichte Entspannung trat ein. Wir machten FOR-DEC und die Kapitänin entschied darauf, nach Hannover weiterzufliegen.
Es war die richtige Entscheidung, da kein anderer geeigneter Flugplatz näher lag. Es kehrte wieder Ruhe ein im Cockpit.
Auf einmal fragte mich die Dame, was denn passieren würde, wenn jetzt das zweite Triebwerk auch noch ausfällt. „Dann sind wir ein Segelflugzeug“, kommentierte ich mit einem leichten Lächeln. „Geht das denn mit so einem großen Flugzeug (A320)?“ war die nächste Frage. „Ja, das geht“ meine knappe Antwort.
Ich überlegte kurz. Dann programmierte ich in das Fehlermenü am Instructor-Panel Parameter für einen Treibwerksausfall ohne Feuer für Motor Nummer 2 ein und aktivierte das Programm. Irgendwo zwischen 4.000m und 3.000m Flughöhe wird jetzt im Anflug auf Hannover auch der zweite Motor abstellen und sich nicht wieder starten lassen.
Wir machten das Anflugbriefing für eine Landung mit einem Motor, auf die Landebahn 27R in Hannover Langenhagen.
Der Sinkflug begann, wir passierten 4.000m und waren im direkten Anflug, mit Priorität, auf die Piste 27R. Ich hörte das Wetter nochmal ab. Hmm, ein größerer Schneeschauer zog gerade aus Westen heran, direkt über den Flughafen in unsere Richtung. Wir müssen mit Instrumentenflug-Wetterbedingungen und starker Bewölkung um die 300m Meter bei nur 3km Sicht rechnen, sagte ich nach links.
Dann passierte es schon, etwa 24 Meilen vor dem Airport in 3.500m Höhe verlor der verbleibende Motor stark an Leistung. „Vogelschlag rechts“ rief ich laut. Der Motor starb, wie es bei Piloten heißt. „You have control, Speed 210 Knoten, Flight-Director aus, Autopilot aus, Kurs halten.” Jetzt erschrak die Kapitänin schon deutlich. Ich gab ein paar Hinweise für die nötige Flugzeuglage am künstlichen Horizont im Primary-Flight-Display (PFD) und betonte, dass jetzt die Geschwindigkeit die größte Aufmerksamkeit erfordere. Wir brauchen einen optimalen Gleitweg, um nicht unnötig Höhe zu verschenken.
Nach Abarbeiten der Emergency-Checkliste für doppelten Triebwerkausfall in niedriger Höhe und Sicherstellung des Hydraulikdruckes und der Elektrik durch die Hilfsturbine (APU) sowie der aerodynamischen Notturbine am Rumpf (Ram Air Turbine, RAT) setzte ich wieder einen Notruf ab. Wir sind freigegeben für Manöver nach eigenem Ermessen, sagte ich nach links. Es war sehr leise im Cockpit.
Wir machten wieder FOR-DEC und ich informierte nach links gewandt, dass wir im Gleitflug die Piste in Hannover rechnerisch sicher erreichen können. Einen anderen geeigneten Flughafen gäbe es in Gleitflugreichweite nicht, und eine Landung auf einem Acker oder der Autobahn sei sehr riskant. Die Kapitänin entschied: nach Hannover fliegen. Es war wieder die richtige Entscheidung.
Jetzt dämmerte es mir jedoch langsam, in was für eine Situation ich uns eigentlich manövriert habe. Ich bin selbst noch nie unter Blindflugbedingungen im Gleitflug ohne Triebwerke gelandet!
Oops, das wird jetzt mal spannend für den Trainer. Der Schneeschauer lag genau vor uns und wir tauchten in Sicht „Null“ ein. Heftiges Schneetreiben passierte die Cockpitfenster. Wir waren genau auf Landekurs. Ich zögerte etwas, die Landeklappen und Luftbremsen (Speed Brakes) auszufahren, obwohl wir zunehmend zu hoch für die verbleibende Distanz waren.
Die Kapitänin machte ihren Job gut, Geschwindigkeit und Kurs stimmten. 5 Meilen vor der Bahn waren wir noch über 1.800m hoch. Viel zu hoch! Fahrwerk raus, Klappen Stufe 1, Speed Brakes voll raus, Speed 200, Klappen 2, noch 2,5 Meilen. Keine Sicht!
Mit der eingeschränkten Hydraulik ging alles langsam mit den Klappen. Mist, noch 2.900 Fuß Flughöhe, Bahn zeitweise in Sicht, nicht zu schaffen, viel zu hoch ging mir durch den Kopf!! „Ich habe einen Fehler gemacht, wir sind viel zu hoch“ sagte ich ruhig.
Nach einigen Sekunden FOR-DEC Überlegung entschied ich: Wir passieren den Airport, drehen nach 1 Meile um und landen mit 10 Knoten Rückenwind in Gegenrichtung! Alle anderen Optionen sind riskanter: Autobahn oder Acker. Den Militärflughafen Wunstorf sehe ich zwar, der ist aber zu weit weg. Hohe Nervosität auf dem Kapitänssitz links setzte ein.
Ganz ruhig bleiben, sagte ich betont gelassen. Wir haben noch eine gute Chance. Ich gab direkte Steuerkommandos: „Flugzeug gerade halten, Nase runter bzw. höher, was gerade gefordert war. Klappen und Speed-Brakes fuhr ich sofort wieder ein. Das Fahrwerk ging ja nicht mehr rein, sehr ungünstig!
Nun mit jedem Fuß Höhe geizen, ging es mir durch den Kopf. „Jetzt mit maximaler möglicher Schräglage (35 Grad, hängt von der Speed ab) nach links wenden und bei 210 Knoten bleiben.“ mein knappes Kommando. Ich half mit meinem Stick rechts etwas nach, da die Kapitänin zögerte.
Ich ließ sie aber weiterfliegen. Die Bahn 09R kam in einem 45 Grad Winkel in Sicht. Der Schnee ließ nach, die Bahn war weiß gepudert. „Gerade legen, Nase hoch, stopp, so ist gut, wir verlieren sonst zu viel Höhe.“ sagte ich knapp aber ruhig. Auch da half ich ein wenig nach, da man langsam auf den Nerven im linken Sitz Geige spielen konnte. „Klappen Stufe 1, Speed 180 Knoten, Stufe 2, Speed nicht unter 160!“, sagte ich deutlich. „Wir brauchen die Geschwindigkeit zum Abfangen, da wir keinen Antrieb mehr haben“. „Landeklappen ganz raus, 100m vor den Bahnanfang peilen“. Ich half wieder ein wenig. 300 Fuß. „Jetzt in einem Schwung auf Bahnkurs drehen, Nase 8 Grad hoch, nicht mehr“. Ich half wieder etwas. „Füße an die Pedale beim Aufsetzen, schweben lassen“. Der Bordcomputer meldete: 200 Fuß, 100, 50, 40, 20, 10. Das Hauptfahrwerk setzte recht sanft auf schön mittig auf. „Nase langsam runterlassen, mit den Füßen Richtung halten und voll in die Bremsen, nicht aus den Bremsen gehen!“ Ich half wieder ein wenig.
Die Kapitänin saß wie festgewachsen da. „Füße aus den Pedalen nehmen, Hände vom Stick, die Kiste steht, Parkbremse gesetzt, Bremsenkühlung ein, entspannen, jetzt haben wir Zeit, willkommen in Hannover“, sagte ich so normal wie möglich, als wenn nichts passiert war.
Im De-Briefing betonte ich nochmal, dass ich einen gravierenden Fehler in der Anflugplanung gemacht habe. Ich zögerte aufgrund des Wetters zu lange mit der Erhöhung der Sinkflugrate und dem Setzen der Klappen bzw. Ausfahren des Fahrwerks zum weiteren Abbremsen.
Alle im Raum sagten, der Krisenmanager und auch meine Assistenz, dass das Herz schon hoch schlug nur vom Zusehen und sie nicht glaubten, dass das noch gelingen könne.
Die Erkenntnisse, die wir herausarbeiteten:
- Menschen machen Fehler, egal wie erfahren und ausgebildet
- Gib niemals auf, es findet sich immer noch ein lohnenswerter Weg
- Nimm konsequent FOR-DEC für alle Situationen, die nicht in Verfahren geregelt sind, egal wie hoch der Druck ist
- FOR-DEC kann man auch alleine anwenden, mit sich selbst. Es schaltet den Kopf (wieder) ein und den Bauch aus
- Unterschätze Training und Erfahrung nicht. Ich kenne die Reaktionen des Flugzeuges auch in absoluten Grenzbereichen durch häufiges Training sehr genau, dadurch gelang uns das grenzwertige Manöver zum Wenden
Der zweite Fall
Benutze Checklisten – immer!
UND
Lass Dich in wichtigen Phasen Deiner Arbeit nicht ablenken!
Nach einem Anflug auf Paro in Bhutan, dem wohl anspruchsvollsten Airport für Airliner auf der Welt, tief im Himalaya gelegen, trainierten wir in Funchal auf Madeira weiter.
Der Airport Funchal gehört immer noch zu den Top 10 der gefährlichsten Airports weltweit. Nur speziell trainierte Crews dürfen hier fliegen.
Hier kenne ich mich sehr gut aus, habe ich doch selbst dort mehr als 200 Anflüge live gemacht.
Beim letzten Start, ich war zugegebenermaßen auch etwas müde, da bei diesem Coaching extrem gefordert, lenkte mich die nicht fliegende Teilnehmerin kurz nach dem Abheben kurz mit einer Frage ab. Ich ging sofort darauf ein, anstatt zu sagen: einen kleinen Moment bitte. Ein Fehler!
Der Kapitän auf dem linken Sitz war schon recht routiniert und ich brauchte nicht mehr so intensiv auf ihn aufpassen. Die Platzrunden auf Madeira werden im Wesentlichen nach Sicht mit der Unterstützung eines Funkfeuers, nach guter alter Tradition geflogen. Die Maschine blieb unter 250 Knoten und wir flogen nicht höher als 1.000m. Im Anflug wunderte ich mich, dass die übliche Fahrwerkswarnung beim Unterschreiten von 300m ausblieb. Ich fahre die Räder hier sehr spät aus um die Durchstartoption bei widrigen Winden spät und mit hoher Sicherheitsreserve entscheiden zu können. Wir hatten sehr böigen und oft drehenden Wind an diesem Spätnachmittag in der Dämmerung.
Hier hätte ich eigentlich stutzig werden müssen, wurde ich aber nicht. Vielleicht war es schon ein „Fatigue“-Problem. Kurz vor dem Eindrehen in die lange Kurve zur Landebahn 05 griff ich zum Fahrwerkshebel, mir lag schon der Ausruf „Gear down“ auf der Zunge, da wurde ich hellwach. Ich hatte nach dem Start vergessen, das Fahrwerk einzufahren und dem Kapitän ist das auch entgangen.
Durch die Frage der Teilnehmerin in einer der kritischsten Flugphasen, kurz nach dem Abheben, habe ich mich kurz ablenken lassen und das Kapitel „After Takeoff Checklist“ ausgelassen.
Es fiel nicht auf, da wir nur einen sehr kurzen Steigflug hatten und immer unter dem Geschwindigkeitslimit von 280 Knoten für das ausgefahrene Fahrwerk blieben. Es war nicht gefährlich in dieser Situation, weil es „nur“ das Fahrwerk war. Wären es vor dem Start die Klappen gewesen, die ich vergessen hätte, sähe es schon anders aus.
Genau so sind in Madrid im Jahr 2008 154 Menschen beim Absturz einer Spanair MD 82 gestorben. Die Crew hatte vergessen, einen Teil der Auftriebshilfen auszufahren, weil sie die Checkliste in der Eile nicht korrekt abgearbeitet hatte und zudem eine Kontrollleuchte defekt war.
Die Erkenntnisse daraus im De-Briefing
- Müdigkeit erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit erheblich, auch wenn man noch so routiniert und erfahren ist
- Lass Dich bei wichtigen Arbeiten nicht ablenken. Der Mensch ist nicht Multi-Tasking-fähig
- Benutze die Checkliste und halte die Verfahren ein, immer!
Beide Teilnehmer waren am Ende geschafft, aber sehr begeistert und versicherten, dass sie diese Erfahrungen und die Lehren daraus niemals vergessen werden.
Sie waren sicher, jetzt gute Werkzeuge kennengelernt und direkt im Training angewendet zu haben, die ihren Stresspegel auch unter hohem Druck niedrig halten.
Herzlichen Dank, Trainingsziel erreicht!
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