Montag, 17. Dezember 2018

Sehr gutes Fehlermanagement – ein aktuelles Beispiel

Der Krieg gegen Fehler wird nie enden – und es wird nie einen klaren Sieger geben.

Zitat James Reason, weltbekannter Fehlerforscher, in seinem neusten Buch „Organizational Accidents Revisited“
 (Link zu Amazon)



Die Luftfahrt gibt immer wieder Beispiele für schnelles, effektives und lösungsorientiertes Fehlermanagement. Eigentlich ist es mehr als das, nämlich „Thread And Error Management (TEM)“, die Fortentwicklung des klassischen Fehlermanagements.


Denn, nicht der Fehler selbst wird mehr für sich alleine betrachtet und aufgeklärt, sondern sein gesamtes Umfeld einbezogen.
Dabei tritt in den meisten Fällen eine komplexe Ursachen-Wirkungskette auf. Singuläre Kausalitäten finden sich nur selten.
Es sind fast immer komplexe Mechanismen, die Sicherheits-Barrieren brechen lassen und dann in einem fatalen Ereignis enden.
Oder in kurzem Deutsch: es macht nicht plötzlich Plumps und ein Flugzeug fällt vom Himmel, auch wenn es für Außenstehende so aussieht.



Jetzt zu meinem aktuellen Beispiel, dem bitteren Ende des Lion Air Fluges JT 610 in der Nähe von Jakarta:

das Unglück passierte Ende Oktober und heute, am 12. Dezember 2018, greift bereits weltweit ein umfangreiches Maßnahmenpaket bei Airlines, Hersteller und den Trainingscentern für die
Boeing 737 MAX.

Es sind nur knapp 45 Tage vergangen, da liegt nicht nur ein öffentlich zugänglicher, offizieller Zwischenbericht über wesentliche Fakten des Unglücks vor, sondern es wird bereits ein Bündel von konkreten Maßnahmen (siehe weiter unten) umgesetzt.
Dieses Paket sorgt in kürzester Zeit für ein deutliches Plus an Sicherheit in der Luftfahrt.

Wie unsere Gesellschaft im Allgemeinen auf solche Fehler reagiert, haben wir leider wieder in vielen Medien erlebt.

Da berichtet SPIEGEL-online vom „verschlimmbesserten Flugzeug Boeing 737“ unmittelbar nach dem Unfall, und eine breite Presse äußert „skandalträchtige Abläufe“ bei Lion Airbus-A320-Simulator.
In den sozialen Medien werden von „Experten“ schnell Schlüsse über die unverantwortliche Abhängigkeit von nur einem Sensor für die Flugsicherheit gezogen.
Zwischendurch wird Boeing noch mal moralisch an die „Wand genagelt“, weil sie angeblich nicht ausreichend auf die neue Technik zur automatischen Vermeidung von Strömungsabrissen in den Handbüchern hingewiesen haben.

Fast alle medialen Darstellungen und öffentlichen Diskussionen haben eines gemeinsam: sie lieben die singuläre Kausalität, suchen den einen Schuldigen und verfallen aktionistisch in Rückschaufehler.

Weil der oder das so war, sind jetzt 189 Menschen tot. Und, es ist doch klar, dass dieses oder jenes zu diesem oder jenem Ergebnis führt.
Ja, heute, nach dem fatalen Ereignis und genauer Untersuchung wird das Bild klarer, aber vorher ist es das eben nicht, weil die Erkenntnisse von heute damals gar nicht bekannt waren (Rückschaufehler).


Die Luftfahrt hat dank des Crew-Resource-Managements zum Wohle aller eines gelernt:

Sie lassen sich nicht (mehr) von solchen Verhaltensmustern beeinflussen oder gar lenken.

Die präzise Untersuchung eines Luftfahrtunfalls ist überhaupt nur möglich, weil die beiden „Black Boxen“ an Bord alle Vorgänge in Cockpit, Kabine und bei der Verkehrslenkung, inklusive der Kommunikation zwischen allen direkt Beteiligten, aufzeichnen und damit wichtige Fakten bereitstellen.

Flugunfalluntersucher, Airlines und Hersteller arbeiten bei der Analyse und dem daraus abzuleitenden Paket an Verbesserungen und Maßnahmen international, mit offenem Visier zusammen.

Ja, da zeigt auch mal einer der Betroffenen „Nerven“, wie hier die Lion Air, die, glaube ich etwas unüberlegt, über Stornierungen der laufenden B737 MAX-Bestellungen gesprochen hat.

Doch diese Irritationen sind immer nur von kurzer Dauer und es wird von den anderen Beteiligten nicht nachgetragen.

Offene, direkte, prägnante und schnelle Kommunikation und der unvoreingenommene Umgang mit den zu Tage geförderten Fakten sorgen in kürzester Zeit dafür, dass ein Wiederholungsfall dieser Fehlerkette sehr viel unwahrscheinlicher wird – und zwar bei weltweit allen Airlines und dem Hersteller zugleich.


Mit der Inbetriebnahme der neuen Boeing 737 MAX wurde ein Flugzeug in den Luftverkehr gebracht, dass mit der ursprünglichen 737, mit analogen Steuersystemen, nicht mehr viel gemein hat. Das wurde unterschätzt, von vielen Beteiligten, nicht nur von Boeing selbst.
Menschen machen diese Fehler, das ist unvermeidlich – eine wesentliche Erkenntnis der Fehlerforschung und auch im Crew-Resource-Management.

Klar, irgendeiner löst letztlich die Handlung(en) aus (sharp end, wie die Fehlerforscher sagen), die das fatale Ereignis zur Folge hat.
Den oder die als Schuldige zu benennen, zu bestrafen und dann zur Tagesordnung überzugehen würde niemandem nützen. Es macht weder die Toten wieder lebendig noch vermeidet es die Wiederholung dieser fatalen Kettenreaktion.

Im Falle von Flug JT 610 und seinem traurigen Ende waren das „sharp end“ die technisch Verantwortlichen der Airline und die Piloten. Ja, sie sind in der Fehlerkette auch sehr relevant. Sich auf sie alleine in der Betrachtung zu beschränken, würde jedoch den Flugbetrieb mit der B737 MAX nicht wirklich sicherer machen.

Erst das Zusammenspiel der Maßnahmen, hier aus Softwareänderungen im Flugzeugmanagement, einsetzen zusätzlicher Warnsysteme im Cockpit, klarerer Dokumentationen der neuen Technik für die Piloten, verbesserter Ausbildung für diesen Flugzeugtyp und natürlich eine grundlegende Überarbeitung der Verfahren bei Lion Air und anderen zum Umgang mit solchen technischen Störungen erhöht wirklich die Flugsicherheit.

Die Verkehrsluftfahrt steht ständig vor enormen Herausforderungen, technischer wie organisatorischer Hinsicht. Immer mehr Automatisierung, überfüllte Lufträume und scharfer Wettbewerb, mit schmalen Margen, sind nur sicher zu bewältigen, wenn das System der Fehleraufarbeitung so gut funktioniert wie es das jetzt tut.

Natürlich lässt sich auch das TEM stets weiter verbessern. Die immerwährende Unvollkommenheit lässt Qualitätsmanager und Unfallforscher in der Luftfahrt nicht mutlos werden.

So geht James Reason in seinem oben erwähnten Werk auch mit „Target Zero“, also null Fehler- Forderungen und Modellen hart ins Gericht.
Noch härter geht er mit Managern um, die Forderungen wie „x-Prozent Fehlerreduzierung in n-Jahren“ postulieren. Die Vorgehensweise „fordern sie das Unmögliche um das Mögliche zu erreichen“ ist tödlich für jedes Qualitätssystem, hemmt den Fortschritt und erzeugt nachhaltige, oft fatale Kollateralschäden. Auch in Deutschland leben uns Unternehmen so etwas (leider) immer wieder vor.

Seien Sie sicher, dass mit der fortlaufenden Weiterentwicklung des Crew-Resource-Managements das Mögliche getan wird immer besser zu werden. Die Teams funktionieren und das gemeinsame Ziel ist für jeden darin erstrebenswert, eine der wichtigsten Bedingungen für echte Teams.
Das, zusammen mit den richtigen Voraussetzungen für erfolgreiche Teams, bringt maximal möglichen Output – aber, Fehler werden immer wieder passieren.


Wieviel Geld könnte gespart, wieviel Burnouts und innere Kündigungen verhindert werden, wieviel mehr Innovationen schneller an den Markt, und wieviel weniger Patienten zu Schaden kommen, wenn die Verhaltensweisen und Regeln des Crew-Resource-Managements auch in Unternehmen und Kliniken nachhaltig etabliert werden.

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