Mittwoch, 12. Dezember 2018

Führungskräfte dürfen nicht aus dem Bauch entscheiden

Ein Interview mit Thomas Fengler zum Thema „richtig Entscheiden“ nach der FOR-DEC Methode des Crew-Resource-Managements (CRM)


Kopf oder Zahl? Rot oder schwarz? Wir müssen uns jeden Tag entscheiden. Aber wie trifft man eine wirklich gute und vor allem richtige Wahl?

Thomas Fengler hat eine klare Empfehlung aus der Luftfahrt, die auch Unternehmen anwenden können:
 FOR-DEC.


Benjamin Franklin hat einmal gesagt: „Die schlimmste Entscheidung ist die Unentschlossenheit.“ Sehen Sie das auch so?

Ja, Entscheidungen sind notwendig und wir treffen täglich unzählige. Sicherlich auch häufig sehr unbewusst, zum Beispiel, wenn wir uns dazu entschließen, ein Eis zu kaufen. Aber spätestens im beruflichen Kontext haben Entscheidungen ein ganz anderes Gewicht. Führungskräfte können es sich nicht erlauben, unentschlossen zu sein. Sie dürfen aber auch nicht ad hoc entscheiden.

Was beeinflusst Entscheidungen?

Eine Entscheidung wird von einer vergangenen Erfahrung gesteuert. In der Psychologie nennt man dieses Phänomen „Similarity Matching“. Ein Entscheider versucht, die akute Situation mit Hilfe seiner Erfahrung zuzuordnen. Er pickt sich ein passendes Muster heraus, um die Situation zu bewältigen. Wenn kein Muster passt, kommt es zu einem anderen psychologischen Phänomen, dem „Frequently Gambling“. Ein Entscheider trifft eine Entscheidung anhand dessen, was in der Vergangenheit immer den größten Erfolg gebracht hat. In diesem Fall ist bei den meisten Menschen die Strategie – leider –, nichts zu tun und die Situation auszusitzen.

Womit wir wieder bei der Unentschlossenheit wären...

Richtig. Und es liegt auf der Hand, dass sich kein Unternehmen in dieser schnelllebigen Zeit leisten kann, zu zögern. In der heutigen Welt braucht es mehr denn je gute und vor allem richtige Entscheidungen. Solche Entscheidungen trifft man nach meiner Erfahrung aus der Luftfahrt in Zusammenarbeit mit einem echten Team und einem strukturierten Entscheidungsmodell.

Wie kann ein Team eine Entscheidung unterstützen?

Wenn es um richtige und gute Entscheidungen geht, hat eine Führungskraft in der heutigen komplexen Welt alleine keine Chance. Wenn Viele an einem Fall beteiligt sind, können auch mehrere Optionen geprüft und Risiken abgewägt werden. Alle Perspektiven zahlen in einen Topf ein, den eine einzelne Person alleine nicht füllen könnte – und falls doch, nur unter erheblichem Stress. Wichtig ist allerdings, dass die beteiligten Personen offen sagen dürfen, was sie denken.

Aber heißt es nicht auch, dass mehrere Köche den Brei verderben?

Wenn wir bei dem Vergleich bleiben, kommen hier eher alle Zutaten auf den Tisch, aber der Koch schubst sie dann in den Topf. Es herrscht oft das Vorurteil, dass bei der Anwendung von Entscheidungsfindungsmodellen am Ende alle die Entscheidung treffen. Das ist aber absolut nicht so. Entscheidungsfindungsmodelle sind keine „Wir haben uns alle lieb“-Geschichte. Sie sind ein zusätzlicher Rechercheschritt. Es handelt sich um ein gemeinsames Abklopfen der Möglichkeiten, um dem Entscheider die bestmöglichen Voraussetzungen zu bieten, eine gute und richtige Wahl treffen zu können.

In der Luftfahrt haben Sie das FOR-DEC-Modell kennen gelernt und erfolgreich eingesetzt. Wie funktioniert dieses Entscheidungsfindungsmodell?

FOR-DEC unterteilt Aufgabenstellungen in Segmente, klopft sie auf die entsprechende Zielorientierung ab und ordnet die Elemente dann den Zielen zu. Das heißt, dass eine Situation nach verschiedenen Mustern durchgescannt wird. Nach Fakten (F = Facts), nach den sich daraus ergebenen Optionen (O = Options) und den zu berücksichtigenden Risiken (R = Risks). Erst nach dem Durchlaufen dieser Segmente kommt es zur Entscheidung (D = Decision). Diese wird ausgeführt (E = Execution) und geprüft, ob sie zum Erfolg führt (C = Check). Wichtig ist, dass die einzelnen Schritte nicht miteinander vermischt werden. Eine Problemstellung durchläuft strikt diese Reihenfolge.

Wann und wie wendet eine Flugzeugcrew FOR-DEC an?

Zum Beispiel bei undurchsichtigen Wetterverhältnissen. Gemeinsam prüft die Crew zunächst alle Fakten. Welche Wetterbedingungen herrschen konkret? Wie groß ist der Kraftstoffvorrat? In diesem Schritt werden keine Bewertungen abgegeben. Danach werden die Optionen geprüft. Wichtig: Alle werden angesprochen, auch wenn sie abwegig erscheinen, wie: „Obwohl wir noch genügend Sprit an Bord haben, könnten wir das Flugzeug auf einem Ausweichflughafen landen.“ Würde eine Option sofort bewertet, findet sie vielleicht gar keine Beachtung. Anschließend werden die Risiken abgeschätzt. Erst an dieser Stelle werden die Fakten und Optionen tatsächlich bewertet. Hier kann Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend bleibt aber, dass wieder das gesamte Team einbezogen wird. Auf dieser Grundlage entscheidet der Kapitän unabhängig. Die Entscheidung muss dann von der gesamten Mannschaft bestätigt und gemeinschaftlich ohne Zögern ausgeführt werden. Jedes Teammitglied überprüft, ob die gewählte Handlung zum gewünschten Ziel führt (Execkution). Falls nicht, startet der gesamte FOR-DEC-Prozess von vorne. Er wird außerdem wiederholt, wenn sich im letzten Schritt „Check“ zeigt, dass sich die Entscheidung als nicht mehr zielführend erweist.

Sie haben erwähnt, dass FOR-DEC in einer eingespielten Crew automatisch abläuft und der Kapitän nur gelegentlich durch den Prozess moderiert. Was ist außerdem wichtig, damit das Modell funktioniert?

Es ist wichtig, dass alle Teammitglieder die Regeln des Modells kennen und trainiert haben. Darüber hinaus ist Wesentlich, dass klar zwischen dem Sammeln und Bewerten von Informationen getrennt wird. Es gilt: Wer zu früh bewertet, schließt zu früh Dinge aus.

In der Luftffahrt hat sich FOR-DEC seit über 30 Jahren bewährt und maßgeblich dazu beigetragen, Fehlerquoten zu minimieren. Warum glauben Sie, dass sich das Modell auch für Unternehmen eignet und übertragen lässt?

Ein Flugzeug verzeiht nicht viele Fehler – vor allem aber keine Fehlerketten. Während ein Flugzeug abstürzt und alle sterben, kommt es in Unternehmen bei Fehlentscheidungen meistens „nur“ zu finanziellen Schäden. Bei beiden Systemen sind schnelle Entscheidungen notwendig. Eine weitere Gemeinsamkeit: Die Führungskraft in einem Unternehmen übernimmt dieselbe Rolle wie ein Kapitän.

Am Anfang sprachen wir darüber, dass Unentschlossenheit keine Option in der Führung sein kann. Was sind weitere Fehler beim Treffen von Entscheidungen?

Bei der ersten Übung im Flugsimulator sollen die Teilnehmer meines Führungskräftetrainings das Flugzeug landen. Die klassische Führungskraft entscheidet sich sofort zu handeln, guckt sich alle Schalter an, sucht nach Checklisten und Bedienungsanleitungen – sie trifft impulsive, aktionistische Bauchentscheidungen. Das ist aber total falsch. Jeder Schalter, der übereilig betätigt wird, ist der sichere Weg in den Tod. Auf die simple Idee, nach Hilfe zu fragen, kommt kaum jemand. Nach einiger Zeit unterbreche ich und beginne, gemeinsam die Fakten zu sammeln. Außerdem prüfen wir die Optionen und erst in diesem Schritt kommen die Teilnehmer darauf, dass sie Hilfe über Funk anfordern können. Wenn der Bauch ausgeschaltet ist und der Kopf übernimmt, wird die einzig richtige Schlussfolgerung gezogen. Führungskräfte entscheiden aber zu häufig falsch. Es gibt sogar viele, die ganz stolz behaupten, sie seien Bauchmenschen. Meine Erfahrung sagt mir ganz klar: Führungskräfte dürfen nicht aus dem Bauch heraus entscheiden.

Heißt das, in die Unternehmenswelt übertragen: „Hilfe ist immer eine Option“?

Hilfe anzufordern ist sehr häufig eine Lösung für Probleme von Führungskräften, allerdings sind sie nicht gewohnt, sie in Anspruch zu nehmen. Dies wird mit als Schwäche ausgelegt. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Wie kann in Unternehmen die Anwendung von FOR-DEC gelingen?

Zunächst müssen alle das Modell einfach kennen lernen. Am Anfang hilft es, sich mit Karten, welche die die einzelnen Schritte beschreiben, zu orientieren. Die Führungskraft sollte den Prozess moderieren und gut zuhören können. Und dann ist es eine reine Übungssache. Gutes Führen muss gelernt sein und Gleiches gilt für das Treffen guter Entscheidungen.

Sie würden sicher den Satz des Philosophen antiken Autors Epicharm abschließend unterstützen: „Überlasse die Entscheidung nicht der Leidenschaft, sondern dem Verstand!“

Richtig, geprägt durch den Willen! Eine emotional gesteuerte Entscheidung ist keine richtige Grundlage für die Lebens- oder Mitarbeiterführung noch taugt sie zur guten Problemlösung.
Diese Erkenntnis ist in der modernen Verhaltensforschung auch belegt. Wer das konzentriert hören möchte, dem empfehle das Interview mit Prof. Raphael Bonelli aus Wien.
Er fast das in wenigen Kernsätzen gut verständlich zusammen. Zwei dieser Sätze (Zitat) finde ich besonders prägnant und wichtig:

Die Emotion ist kein Kompass für die richtige Entscheidung

und

Das Bauchgefühl kennt keine Moral, keine Vernunft und kann keine Richtung angeben


Das Interview führte die Autorin Julia Kottkamp aus Hamburg

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