Vor Kurzem las ich in einem Monatsheft einen Beitrag über
Fehlerkultur.
Die Autorin erzählte darin folgende Geschichte:
Stellen Sie sich ein Kleinkind vor, das fröhlich und völlig versunken einen Turm aus Bauklötzen baut. Ab und zu stürzt dieser Turm wieder ein.
Dabei bleibt das Kind heiter und gelassen und fängt jedes Mal in aller Ruhe von vorne an.
Irgendwann, nach nicht allzu langer Zeit, ist der Turm fertig und das Kind juchzt vor Freude.
Jetzt verändern wir die Situation. Neben dem Kind sitzt ein Erwachsener, der das Kind laufend darüber belehrt, welche Fehler es beim Bau macht und wie es besser geht.
Er will dem Kind ja nur helfen und seine Erfahrung vermitteln, damit das Kind schneller zum Erfolg kommt. Der Erwachsene verfolgt dabei gute Absichten.
Was passiert jetzt?
Das Kind verliert nach kurzer Zeit die Lust und fängt an zu weinen.
Der Turm wird nie fertig.
Diese kurze und prägnante Geschichte sagt sehr viel über die heute oft
praktizierte Fehlerkultur aus. Das betrifft häufig nicht nur Unternehmen und Organisationen, sondern auch unser Privatleben.
Wir meinen es ja nur gut.
Es sind die berühmten
vier Seiten einer Nachricht, wie sie der bekannte Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun in seinem
Nachrichten-Quadrat darstellt, die eine gut gemeinte Botschaft nicht immer gut ankommen lässt.
Durch
Schuldvorwürfe und Bestrafung werden wir von Klein auf dazu
erzogen, selbst gut gemeinte Hinweise auf
Fehler als Vorwurf zu verstehen. Wir bauen automatisch eine Verteidigungshaltung auf, fühlen uns
schuldig und werden in unserer geistigen Leistungsfähigkeit drastisch eingeschränkt. Unsere
Psyche schaltet in diesen Momenten auf
Alarmbetrieb.
Die eben erzählte Geschichte vom Kind mit den Bauklötzen führte in der Luftfahrt zu vielen Todesopfern.
Im Jahr 1988 kollidierte der Flug
Condor-Flug 3782 bei einem Routineanflug auf Izmir mit einem Berg. Alle 16 Insassen der Maschine starben.
Flugkapitän Hechler, ein ehemaliger Starfighter-Pilot und
Held der Lüfte, redete permanent auf seinen durchaus erfahrenen ersten Offizier Zöller, der auf diesem Flug „Pilot Flying“ war, ein und
kritisierte seine Flugzeugführung. Seine ständige Kritik fiel teils persönlich aus.
Zöller wurde derart
abgelenkt und irritiert, dass er die navigatorische Übersicht komplett einbüßte. Auch Kapitän Hechler hatte das
Situationsbewußtsein durch die Missachtung wesentlicher Verfahren
verloren.
Die Besatzung folgte einem falschen Landesignal und die Maschine zerschellte nahe dem Flughafen Izmir bei Dunkelheit an einem Hügel.
Erst mit dem
Crew-Resource-Management (CRM) wurde derartiges
Verhalten als
hochriskant erkannt, analysiert und dann durch die Einführung des neuen
Führungsmodells, mit einem
bestrafungsfreien Fehlermanagement, wirksam verändert.
In
Unternehmen, Kliniken und Organisationen kommt es immer wieder zu sehr ähnlichen Situationen. Das verursacht zwar keine Toten, aber teure, teils
existenzbedrohende Fehler. Und es erzeugt viele
Kollateralschäden. Weit überdurchschnittliche
Krankenstände und hohe Fluktuation lassen das erkennen.
Die
aktuellen Zahlen der
Krankenkassen belegen:
Psychische Erkrankungen liegen auf
Platz 3 der Gründe für
Personalausfälle durch Krankheit – Tendenz steigend.
Wir leben in einer globalen Welt mit schnellen Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen, zunehmender Digitalisierung und damit immer wieder neu zu schaffenden Arbeitsprozessen. Da haben wir mit der heute meist noch praktizierten Fehlerkultur keine Erfolgsaussichten.
Wir sind zu langsam, zu ineffizient und machen zu viele Fehler!
Ein
Fehlermanagement nach dem Vorbild des CRM gedeiht nicht in einer
Führungskultur aus dem ersten Industriezeitalter. Auch dann nicht, wenn diese Kultur durch Alibipositionen, wie Feelgoodmanager etc.
aufgehübscht und
kaschiert wird.
Es helfen keine Papiertiger, in der Richtlinien für
Compliance und
Unternehmenskultur niedergeschrieben aber nicht von ganz oben bis ganz unten gelebt werden.
Der weltbekannte Usability Forscher
Jakob Nielsen sagt treffend:
Höre nicht auf das was dein Kunde sagt, sondern schau was er tut.
Dieser
Leitsatz, ursprünglich aus der Mensch-Computer Beziehung geboren, ist oft auf Lippenbekenntnisse in Unternehmensfibeln und Beteuerungen im Web anzuwenden, die in Wahrheit im Unternehmen gar nicht gelebt werden.
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Quelle der Bauklotzgeschichte:
Sandherr-Klemp, D. (2017) Fehlerkultur, in Magnificat Ausgabe September 2017, Butzon & Bercker, Kevelaer.